0171 - Der Herr des roten Mohns
links.«
Im nächsten Augenblick war er in einem schmalen, dunklen Torbogen verschwunden.
Auch dieses Häuschen bestand aus Stein und hatte sogar ein Stockwerk. Im Übrigen sah es genau so verwahrlost aus wie der Rest. Die Fenster im Erdgeschoss waren vergittert und die in der Etage mit Brettern vernagelt.
Wir traten leise ein und schlossen die Tür. Ich griff nach meiner Pistole und fühlte, dass Phil neben mir dieselbe Bewegung machte. Sehen konnten wir nichts. Es war stockfinster. Zwar hatten wir selbst keinen Laut verursacht, aber die Kinder waren uns bis zur Tür gefolgt. Sie plapperten, quietschten und schrieen. Ein paar Sekunden standen wir wie angewurzelt. Dann holte ich die Taschenlampe heraus.
In der gleichen Sekunde, in der ihr heller Strahl aufleuchtete, wurde uns gegenüber eine schmale Tür geöffnet. Aus dem Raum fiel ein trübes Licht.
Clem Target fuhr mit der rechten Hand in die Tasche.
Im gleichen Augenblick krachte meine Pistole zum ersten Male. Die Kugel, die seine Schulter getroffen hatte, warf ihn nach hinten. Er stolperte und kippte in den Raum, aus dem er gekommen war.
Gleichzeitig sprangen Phil und ich zur Seite - und zwar keine Sekunde zu früh. Drei, vier, fünf Schüsse peitschten heraus und schlugen in die Mauer. Wir standen neben der Tür und warteten. Nichts geschah. Dann knarrte etwas. Ich nahm den Hut ab und streckte ihn vorsichtig in die Schusslinie. In dem trüben Licht des Zimmers musste es aussehen, als sähe ich um die Ecke. Die erwarteten Schüsse blieben aus. Ich streckte den Kopf vor und blickte in den halbdunklen Raum. Er war sehr klein und enthielt zwei Feldbetten, einen Tisch, auf dem Gläser und Flaschen standen, und drei Stühle. Neben dem Tisch lag Target in einer Blutlache. Er atmete noch.
Dann bemerkte ich das kleine, offene Fenster, das nach hinten hinausging. Mit einem Satz war ich dort. Vor mir war ein winziger Hof.
Eine Leiter war gegen das Haus gelehnt. Daneben stand ein Chinese. Er blickte nach oben. Ob wir nun doch ein Geräusch verursacht hatten oder ob er unsere Anwesenheit witterte, er fuhr herum und seine Pistole spuckte Feuer. Auch Phil hatte geschossen, aber es war fast unmöglich, dass er sein Ziel getroffen hatte. Von der Straße klang jetzt ein wildes Geheul. Sicherlich war bereits die halbe Stadt zusammengelaufen, und ich dachte für Sekunden mit Schrecken daran, dass wir alle uns erteilten Warnungen in den Wind geschlagen hatten und nun rettungslos in der Tinte saßen.
Aber das waren nur Sekunden. Ich sprang durch das kleine Fenster. Phil folgte sofort. Der Chinese war spurlos verschwunden. Er musste über die niedrige Mauer des Hofes entkommen sein. Instinktiv warf ich die Leiter um. Sie schlug auf und zerbrach. Jetzt vernahm ich von oben laute Hilferufe und zugleich polternde, flüchtende Schritte, die eine Treppe herunterkamen. Wir machten kehrt und rasten zurück ins Zimmer. Dort prallte ich im Dunkeln gegen einen Körper. Ich versuchte, ihn zu umklammern, aber ich bekam einen Stoß gegen den Magen, der mich einen Augenblick außer Gefecht setzte.
Im Licht, das durch die sich öffnende Haustür hereinfiel, erkannte ich das Gesicht von Don McDonald. Ich wäre ihm nachgerannt, wenn ich nicht die vielen Menschen und die drohend erhobenen Fäuste gesehen hätte. Ein Stein flog an mir vorbei und knallte gegen die Wand. Dann zitterte dicht neben mir im Holz der Tür ein Messer. Ich warf sie zu und schob den Riegel vor.
Die Hilferufe von oben hatten immer noch nicht aufgehört. Ich stürmte die schmale, gewundene Treppe hinauf. Auch oben gab es nur einen einzigen Raum. Das Fenster zum Hof hin war offen. In einer Ecke kauerten die beiden Mädchen Joice und Hazel. Ihre Kleider waren zerrissen, Gesicht und Hände zerkratzt und schmutzig. Phil war auch nach oben gekommen. Als sie uns sahen, sprangen sie auf und klammerten sich an uns. Nur mit Mühe konnten wir uns befreien.
Wild redeten sie durcheinander.
»Haltet den Mund und lasst uns los!« schrie ich sie an und gab Joice einen Stoß. »Wenn ihr keine Ruhe gebt, so gehen wir alle vier zum Teufel.«
Zum Teufel würden wir wohl auf alle Fälle gehen. Wir hörten bereits die Schläge gegen die Haustür, die nicht lange standhalten konnte. Der Weg zur Straße war versperrt. Wenn wir dort erschienen, würden wir in Stücke gerissen werden.
Phil und ich hätten es wagen können, die knapp vier Meter in den Hof zu springen, aber wie sollten wir die Mädchen dorthin bekommen? Da fiel mein Blick
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