0171 - Der Herr des roten Mohns
vorn und brauste in halsbrecherischem Tempo durch die schmale Straße. Zehn Minuten danach waren wir aus der Altstadt heraus und an der Anlegestelle der Fähre. Im Nu waren wir von Neugierigen umdrängt, aber wir verließen den Wagen nicht. Das Fährboot legte an. Es trug den pompösen Namen »King George«.
»Pfui Teufel!« murmelte Phil. »Wie leicht hätte das ins Auge gehen können!«
»Vielen Dank, Mister Cotton«, hörte ich Hazels leise Stimme neben mir. »Wären Sie vielleicht so gut, mir eine Zigarette zu geben? Ich habe seit vorgestern keine gehabt.«
Natürlich beeilte ich mich. Das Mädel imponierte mir. Man sah ihr an, was sie durchgemacht hatte, aber sie riss sich zusammen. Joice war immer noch nicht wieder bei Besinnung, jedoch ging ihr Puls regelmäßig, und so machte ich mir darüber keine Gedanken.
Hazel hatte sich vorgeneigt und blickte in den Rückspiegel des Wagens. »Mein Gott, wie sehe ich aus! Haben Sie vielleicht wenigstens einen Kamm bei sich?«
Jetzt musste ich tatsächlich lachen. Das Mädchen war kaum dem Tod entronnen und schon machte sie sich Gedanken über ihre Frisur.
Die Fähre legte an, wir rollten herunter, und der Fahrer fragte sachlich, als kämen wir von einer gemütlichen Spazierfahrt:
»Wohin?«
»Nach Hause«, sagte Hazel, aber damit war ich nicht einverstanden.
»Wenn wir Sie in Ihre Wohnung bringen, wird man den Versuch, Sie kaltzustellen, wiederholen und diesmal gründlicher. Sie müssen in ein Hotel und dürfen vorläufig auf keinen Fall ausgehen.«
»Wie sollen wir das machen? Unsere Koffer haben wir im Stich lassen müssen, und alles andere ist bei uns zu Hause. Wir haben auch keinen Pfennig Geld mehr. Die Kerle haben uns alles abgenommen.«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Wir sind Schuld an Ihrem Pech, und es tut uns nicht weh, wenn wir versuchen, das wieder gutzumachen«, sagte ich.
In Wirklichkeit dachte ich, dass es auf die paar Dollar Spesen auch nicht mehr ankomme.
»Aber wir haben doch auch nichts anzuziehen«, protestierte sie.
»Dann fahren wir eben erst zu Ihnen und packen alles ein, was Sie und Joice brauchen«, schlug ich vor. »So schnell werden die Herrschaften ja nicht reagieren.«
Jetzt endlich begann auch Joice sich zu regen. Zuerst sah sie um sich wie jemand, der aus einem tiefen Schlaf erwacht und nicht weiß, wo er sich befindet. Dann fing sie an zu schluchzen, aber das dauerte nicht lange. Als wir den Bungalow erreichten, war sie schon wieder einigermaßen auf Draht. Wir brachten die beiden Mädchen schnell nach drinnen, bevor die Nachbarschaft von ihrem ramponierten Zustand Kenntnis nehmen konnte, und ermahnten sie, sich zu beeilen. Trotzdem dauerte es fast zwanzig Minuten, bis sie sich gewaschen und umgezogen hatten, und jede mit einem Koffer zurückkamen.
Wir hielten es für besser, sie nicht im »Gloucester Hotel« unterzubringen.
Der Fahrer erklärte uns, er kenne eine kleine, gute Pension in der Nähe der Queensroad, wo nur Damen wohnten. Dort mieteten wir für die beiden ein Doppelzimmer. Die hagere, englische Pensionsmutter besah uns misstrauisch, wir stellten ihr anheim, die Polizei anzurufen und sich bei Inspektor Sommerset nach uns zu erkundigen.
Da wir eine Woche im Voraus bezahlten, verzichtete sie darauf. Wir gaben ihr die Anweisung, keinem etwas von der Anwesenheit der Mädel zu sagen.
»Herrenbesuche sind bei mir überhaupt nicht erlaubt«, meinte sie mürrisch. »Allerdings habe ich ein Gesellschaftszimmer«.
»Sie werden auch niemanden in dieses Gesellschaftszimmer führen, der nach den beiden Damen fragt, keinen Mann und keine Frau. Verstehen Sie mich gut. Ich habe gesagt, niemanden.«
»Warten Sie bitte einen Augenblick.«
Damit verschwand sie, und ich war sicher, dass sie jetzt doch noch Inspektor Sommerset anrufen würde. Jedenfalls war sie bedeutend hebenswürdiger, als sie zurückkam. Wir gaben Joice und Hazel nochmals genaue Instruktionen, wie sie sich zu verhalten hatten.
»Ich hoffe, Ihre Gefangenschaft hier wird nicht lange dauern. Wenn ich mich nicht täusche, so wird die Bande, die Sie entführt hat, schon in den nächsten Tagen auffliegen.«
Ich wusste selbst nicht, woher ich diese Zuversicht nahm. Vielleicht aus der-Tatsache, dass heute das Gesetz des Handels zum ersten Mal von uns diktiert worden war, und wir den Burschen eine empfindliche Schlappe beigebracht hatten.
Trotzdem waren wir von der Lösung unserer Aufgabe noch weit entfernt. Der Zwischenfall mit den beiden Mädchen war nur eine
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