0172 - Mit Gangstern spielt man nicht
Schreibtisch auseinanderpackte.
Er zuckte die Achseln: »Keinen Millimeter weiter als zu dem Zeitpunkt, da ich das erste Mal vor der Leiche des Jungen stand.«
Das enttäuschte mich ein wenig. In New York werden jedes Jahr etwa 400 Leute umgebracht, und 93 Prozent dieser Fälle werden aufgeklärt. Wilmerson hatte für den Fall schon viel Zeit gehabt, und er gehörte sicher zu den fähigen Kriminalisten. Aber ausgerechnet in diesem Fall war er noch nicht weitergekommen.
»Haben Sie versucht, den Weg zu verfolgen, den der Junge vor seiner Ermordung eingeschlagen hatte?«
Wilmerson winkte ab: »Allein damit waren vier meiner Beamten eine Woche lang beschäftigt. Ich hatte von der Leiche Fotos machen lassen. Damit sind sie in Brooklyn herumgerannt und fragten Hinz und Kunz. Wir haben entdeckt, daß der Junge um acht aus einem Kino kam. Aber wohin er sich von da aus gewandt hat, war nicht zu ermitteln.«
»War er allein im Kino?«
»Ja. Er kaufte sich eine Stange Kaugummi an einem Stand. Die Verkäuferin konnte nicht wechseln, dadurch blieb ihr der Junge im Gedächtnis. Er sagte nämlich, er ginge öfter da ins Kino. Sie sollte ihm die 40 Cents, die er hätte zurückbekommen müssen, aufheben bis zum nächstenmal. Natürlich prägte sie sich das Gesicht ein, um das Geld nicht einem Falschen zu geben.«
»Hatte er die Kaugummipackung bei sich?«
»Ja. Es waren noch ein paar Stangen drin. Außerdem fanden wir fremde Fingerabdrücke auf der Packung. Hier sind sie.«
Er schob uns eine Spurenkarte hin. Auf den ersten Blick fielen uns die plumpen Prints auf. Sie mußten von dicken, grobknochigen Fingern stammen. Außerdem hatte der Mann entweder am linken oder am rechten Daumen eine gezackte Narbe.
»Damit müßte es doch leicht sein, die Person zu finden«, sagte Phil.
Wilmerson beugte sich vor: »Der Kerl, von dem diese Prints stammen, ist in keiner Verbrecherkartei der USA enthalten! Ich habe von den Prints Fotos nach Washington geschickt. Nicht einmal in der zentralen Fingerabdruckkartei eures Vereins ist er vorhanden!«
Ich seufzte. Das war wirklich ein Fall mit Tücken. Jeder Amerikaner, der je in seinem Leben bei einer Regierungsdienststelle, in der Rüstungsindustrie oder an Heereslieferungen mitgearbeitet hat, muß seine Fingerabdrücke abliefern. Ebenso jeder Soldat. Dazu jeder Einwanderer. Und schließlich jeder, der einmal vorbestraft worden war. Auf diese Weise kam in Washington die stattliche Sammlung von 140 Millionen Fingerabdrücken zusammen.
»Der Mann kann nie beim Militär gewesen sein«, zählte Wilmerson auf. »Er ist auch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Ein Einwanderer ist er aber auch nicht. Und in irgendeiner staatlichen Firma oder in der Rüstung hat er auch nie gearbeitet. Nicht einmal beim Roten Kreuz kann er während des Zweiten Weltkriegs gewesen sein, sonst hätten wir seine Prints in der Kartei in Washington. Aber wie wollen Sie einen Mann finden, von dem Sie nicht mehr wissen, als daß er eine gezackte Narbe am Daumen hat? Wollen Sie jeden Bürger der Vereinigten Staaten auf den Daumen sehen?«
Ich winkte ab: »Das hat überhaupt keinen Zweck. Der Mann, der die Prints auf der Kaugummipackung zurückließ, muß ja nicht einmal ein Bürger der Staaten sein. Er kann auch ein ausländischer Tourist oder Geschäftsmann gewesen sein. Die Prints sind für uns wertlos. Wir können sie aus unseren Überlegungen restlos ausklammern.«
Wilmerson brüllte nach einem Mann namens Joe und gab, als er erschienen war, den Auftrag, Kaffee zu kochen. Er bot uns Zigaretten an, und wir rauchten und zerbrachen uns die Köpfe über diese beiden eigenartigen Morde.
Wir verglichen die beiden Fälle und legten Listen an. Was hatten beide Fälle gemeinsam? Wodurch unterschieden sie sich? Welche Anhaltspunkte waren durch die Beschaffenheit der Mordwaffe gegeben? Tausend Kleinigkeiten wurden erörtert. Wilmerson hatte längst einen Block herangezogen und notierte jeden Punkt, der nicht restlos klar war, damit sich seine Leute darum kümmern konnten. Beispielsweise erhob sich die Frage, ob jemand in den letzten Wochen gleich mehrere Schnappmesser auf einmal gekauft hatte. Die beiden Mordwaffen stammten nämlich von der gleichen Firma.
Es war morgens gegen sechs, als Phil und ich müde und zerschlagen nach Hause fuhren. Ich rief noch im Distriktgebäude an und sagte Bescheid, daß wir erst gegen zehn Uhr zum Dienst kommen würden.
***
Im Office erwartete uns schon eine hübsche Überraschung. Auf
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