0172 - Mit Gangstern spielt man nicht
Wolkenkratzern von Manhattan brannten längst die Lichter.
»Wenn wir die Sache hinter uns haben, hätten wir eigentlich einen Tag Urlaub verdient«, meinte Phil. »Am Wochenende haben wir keine Ruhe gehabt.«
»Mr. High wird uns bestimmt einen Tag genehmigen«, meinte ich. »Warum bist du so darauf versessen?«
Phil sagte nur ein Wort: »Ausschlafen!«
Ich lachte. Aber ich spürte gleichzeitig, wie müde ich selbst war. Ununterbrochen waren wir in den letzten Tagen herumgejagt. Von Manhattan runter nach Brooklyn, von Brooklyn wieder rauf nach Manhattan und noch weiter nördlich bis fast nach Yonkers.
Meilen über Meilen hatten wir zurückgelegt. Und ab und zu auch einmal zur Waffe greifen müssen. Dazwischen Fragen gestellt, Theorien entworfen und wieder verworfen, Gedankengänge überprüft, Zusammenhänge gesucht. Das Leben eines G-man. Nichts Besonderes. Jedem Kollegen geht es genauso.
»Komisch«, sagte Phil plötzlich.
»Was?«
»Daß ausgerechnet eine listige und raffinierte Schlange wie Stainley der Eitelkeit sein jähes Ende verdanken muß. Solange er bei seinen Vermittlungen blieb, konnte ihm kaum viel passieren. Ein paar Monate, höchstens wenige Jahre - das war das Schlimmste, was er zu befürchten hatte, wenn er mal verpfiffen wurde. Und dann genügte es ihm nicht mehr. Er mußte unbedingt den Gangsterboß spielen. Die liebe Eitelkeit!«
»Die hat schon manchen hinter Gitter gebracht«, sagte ich. »Eine Reihe der übelsten Verbrecher ist durch Kleinigkeiten aufgefallen, die mit der Eitelkeit zu tun hatten.«
Wir versanken in ein nachdenkliches Schweigen.
»Steck mir eine Zigarette an, Phil!« bat ich.
Er tat es und schob sie mir zwischen die Lippen. Ich fuhr eine Geschwindigkeit, die für den Jaguar keine Geschwindigkeit ist, aber es gab keinen Grund, Rekorde aufzustellen, und außerdem hatte ich einen Dienstwagen hinter mir, der mit dem Jaguar nicht hätte Schritt halten können.
Am Himmel blitzten die ersten Sterne auf. Es würde eine klare, schöne Nacht geben.
»Höchstens noch drei Meilen!« rief Phil, als wir ein Schild passierten.
Ich erwiderte nichts. Ich dachte an Stainley. Würde er sich ergeben? Oder würde er versuchen, es auszuschießen? Er mußte mindestens mit einem Lebenslänglich rechnen, vielleicht sogar mit der Todesstrafe. Er hatte nicht mehr viel zu verlieren. Würde er deshalb alles auf eine Karte setzen?
Vor ein paar Monaten fuhr ein Kollege, Jimmy Carter, an einem ähnlichen Abend wie diesem hinauf nach Bronx, um einen 17jährigen abzuholen, der sich ein paar Autodiebstähle hatte zuschulden kommen lassen. Jimmy war so unvorsichtig, dem Jungen entgegenzutreten, ohne die Waffe in der Hand zu haben. Am nächsten Morgen fanden sie ihn mit sechs Kugeln im Leib.
Wartete ein ähnliches Schicksal auf einen von uns? Auf Phil? Oder auf mich? Vielleicht auf den langsamen, aber fähigen Wilmerson? Auf den bescheidenen Joe? Auf Mr. High? Die Kugeln der Gangster treffen oft wahllos. Und sinnlos.
Phil stieß mich an. Ich schrak aus meinen Gedanken auf.
»Fahr rechts ran!« sagte Phil. »Bill von der Überwachung steht da vorn. Er hat gewinkt.«
Ich ließ den Jaguar ausrollen, stieg langsam auf die Bremse und stoppte. Unter den tiefhängenden Ästen einer Erle trat Bill hervor.
»Hallo«, sagte er leise.
»Was los?« fragte ich mit einer Kopfbewegung zu der Villa hin.
»Ja. Es sind vier Männer gekommen.«
»Verdammt!« knurrte Phil. »Und wir dachten, wir hätten es höchstens mit Stainley und seinem Schläger zu tun. Aber wir können nicht warten, bis aus Manhattan Verstärkung gekommen ist. Das dauert über eine Stunde. Und bis dahin haben sich die Burschen vielleicht wieder abgesetzt.«
Wir sprachen mit Mr. High über die Angelegenheit. Er war unschlüssig. Wilmerson bestürmte ihn, jetzt nicht mehr zu warten. Wir wären immerhin ohne den Chef auch sechs. Der Chef gab schließlich nach. Wir ließen die Wagen stehen.
Mr. High wollte mitkommen, aber ich wehrte ab: »Nein, Chef. Einer von uns muß bei den Wagen bleiben, damit er im schlimmsten Fall Himmel und Hölle alarmieren kann, wenn es drinnen für uns zu brenzlig werden sollte. Diesen einen Rückhalt müssen wir haben.«
Er sah es ein. Außerdem gab er ehrlich zu, daß er nicht mehr der Schütze sei, der er einmal war. Er blieb also bei den Wagen zurück. Wir anderen marschierten auf die Villa zu. Neben dem Tor löste sich der zweite Kollege der Überwachungsabteilung aus dem Schatten einer dichten Hecke und
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