018 - Der Schatz der toten Seelen
Boden, hinein in den gefräßigen Höllenrachen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Unwiderstehliche Kräfte zerrten an dem Gnom. Er brüllte aus Leibeskräften, obwohl er wußte, daß es keinen Zweck hatte.
Wer hätte ihm helfen sollen?
Es gab auf Coor niemanden, der bereit gewesen wäre, sein Leben für einen wertlosen Gnom aufs Spiel zu setzen. Gnome lebten ja nur, um gefressen zu werden.
Immer tiefer rutschte Cruv in den tödlichen Höllenschlund. Er spreizte die kurzen Beine ab, stemmte sich gegen die Höhlenwände, doch der Sog war stärker. Cruv hatte dieser Kraft nichts entgegenzusetzen.
Er schrie.
Die Todesangst versetzte ihn in rasende Panik. Es gelang ihm, sich kurz gegen den Sog, der ihn in die unergründliche Tiefe reißen wollte, durchzusetzen.
Zwei, drei Meter konnte er vorwärtskriechen. Er stach die Spitzen des Dreizacks in den weichen Boden und zog sich auf den Höhlenausgang zu. Aber die Zacken rutschten beim nächstenmal ab, und Cruv rutschte sofort wieder einen Meter zurück.
Noch einmal kämpfte er sich in Richtung Freiheit. Aus der Tiefe des Höllenschlunds stieg ein dumpfes Knurren. Cruv schleppte sich über den schleimigen Boden. Die Rettung winkte ihm – gleichzeitig schien sie für ihn unerreichbar zu sein.
Er stieß beide Arme vor. Seine Hände hielten den Dreizack. Er streckte sie aus der Höhle und drehte seine Waffe waagrecht. Als er wieder ein Stück zurückrutschte, knallte der Dreizack draußen links und rechts gegen die Felswand, und der Gnom klammerte sich verbissen an diese »Sprosse«. Sie bot ihm Halt. Aber für wie lange? Das Zerren, der gewaltige Sog wurde immer stärker.
Wie lange würde sich Cruv am festgeklemmten Dreizack festhalten können?
Ein glühender Schmerz entflammte in seinen Schultergelenken.
Die ungeheuren Kräfte, die auf ihn einwirkten, drohten ihm die Arme auszureißen.
Die Finger schmerzten ihn.
Jetzt! hallte eine donnernde Stimme in ihm. Jetzt bist du endgültig verloren!
So also sah sein Ende aus. Dieser gierige Höllenschlund sollte ihm zum Verhängnis werden.
Die Finger seiner linken Hand rutschten vom Schaft des Dreizacks ab. Langsam öffneten sich die Finger seiner rechten Hand. Sobald er sich an seiner Waffe nicht mehr festhielt, würde es mit ihm rasend schnell in die tödliche Tiefe gehen.
Einmal noch brüllte er seine ganze Verzweiflung, seinen ganzen Schmerz heraus. Dann konnte er sich nicht mehr länger festhalten. Die Finger rutschten kraftlos ab – und Cruv gab sich auf.
***
Roy Cassidys Vater besaß eine kleine Motoryacht. Die stand den drei jungen Abenteurern nun zur Verfügung. Sie hatten sich Neoprenanzüge, Preßluftflaschen, Tauchermasken und Schwimmflossen besorgt. Das Zeug lag fein säuberlich verschnürt unter Dreck.
Roy stand hinter dem Steuerrad und gab Vollgas, sobald sie den Hafen von Cullkirk hinter sich hatten. Der Wind strich Roy um die Nase und zerzauste sein brünettes Haar. Er, Jimmy MacKenzie und Charlie le Mat hatten auf einer Seekarte kleine Planquadrate eingetragen, die sie nacheinander absuchen wollten.
»Freunde!« tönte Roy Cassidy grinsend. »Wir werden in die Geschichte eingehen. Als die erfolgreichsten Schatzsucher aller Zeiten!«
»Kein Mensch glaubt, daß es den Schatz der toten Seelen wirklich gibt«, sagte Charlie le Mat.
»Wir werden den Beweis liefern und der Geburtstagsfeier von Cullkirk damit die Krone aufsetzen!« sagte Roy.
Jimmy MacKenzie rieb seine Handflächen an den Oberschenkeln. »Ich habe gestern mit Thornton Libber über unser Vorhaben gesprochen.«
»Und?« fragte Roy.
»Wie ihr wißt, glaubt er an die Legende. Für ihn ist Nimu Brass eine Art Teufel, den die Götter mitsamt seiner Mannschaft zwar auf den Meeresgrund geschickt haben, der seiner Ansicht nach aber nie gestorben ist.«
Roy lachte. »Demzufolge müßte er noch irgendwo dort unten sitzen und seinen Schatz bewachen.«
Jimmy nickte. »Ja, das glaubt Thornton Libber.«
»Blödsinn«, sagte Roy. »Libber ist ein Spinner, das wissen wir alle. Der erzählt gern unheimliche Geschichten und liebt es, in alles und jedes etwas hineinzugeheimnissen. Wie kann Nimu Brass nach Hunderten von Jahren noch leben? Noch dazu auf dem Meeresgrund! Und wieso hat ihn noch niemand zu Gesicht gekriegt? Nein, Jimmy, ich sagte dir, über Brass und seine Mannschaft brauchen wir uns den Kopf nicht zu zerbrechen. Von denen sind nicht einmal mehr die Knochen übrig.«
»Wenn Nimu Brass aber mit dem Teufel im Bunde war…«, überlegte
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