018 - Der Schatz der toten Seelen
abrutschten, während sie sich verbissen gegen den Höhlenrand stemmte.
Der unglückliche Gnom zappelte und strampelte. Er kämpfte verzweifelt um sein Leben, das Roxane auch nicht mehr retten zu können schien.
»Ergreife meine Handgelenke!« schrie die Hexe in die Höhle.
Das Brausen des Sogs zerzauste ihr Haar, sein Heulen machte sie fast taub.
Die Finger des Gnoms schnappten um ihre Handgelenke zu. Der Doppelgriff brachte eine vage Aussicht auf Erfolg. Roxane preßte die Kiefer zusammen. Ihr hübsches Gesicht verzerrte sich.
Obwohl sie müde war, brachte sie die Kraft auf, den Gnom Stück für Stück näher an sich heranzuziehen.
Er versuchte mitzuhelfen, stemmte die Füße auf den Boden, glitt jedoch immer wieder ab und pendelte manchmal wie eine Kunststoffpuppe im Sturm des mächtigen Sogs.
Roxane atmete schwer. Sie bog ihren Oberkörper zurück, setzte den Fuß auf den Felsen und drückte dagegen. Schweiß glänzte auf ihrer Stirn. Sie mußte ihre letzten Kraftreserven mobilisieren, um nicht im entscheidenden Augenblick schlappzumachen.
Endlich ragte der Kopf des Gnoms aus der Öffnung.
Noch war nichts gewonnen. Wenn Roxane den Kleinen jetzt schon losgelassen hätte, wäre er sofort wieder in die Höhle zurückgeflutscht. Sie stemmte sich weiter gegen den Höllensog.
Bald ragte auch der Oberkörper des Gnoms aus dem roten Todesschlund, und schließlich folgten seine kurzen, zappelnden Beine.
Kaum war er aus der Höhle heraus, da riß die Kraft, die ihn so gewaltig gepackt hatte, jäh ab.
Es war, als hätte jemand den gigantischen Staubsauger abgestellt. Das rote Leuchten verschwand. Kein Heulen und Brausen war mehr zu hören. Die Höhle sah von einem Moment zum andern wieder wie alle anderen Öffnungen im Felsen aus.
Die Falle hatte sich schon wieder perfekt getarnt und wartete auf ihr nächstes Opfer.
***
Vielleicht würde es nicht mehr als eine kleine Spazierfahrt. Ich wäre froh gewesen, wenn wir auf keine schwarzen Sendboten gestoßen wären. Es mag zwar so aussehen, als wäre ich ganz scharf darauf, immerzu gegen die Mächte der Finsternis zu kämpfen, doch der Schein trügt. Es wäre mir viel lieber gewesen, wenn die Hölle eine Weile Ruhe gegeben hätte.
Aber ich hatte im Laufe der Zeit eine Nase für faule Dinge entwickelt, und ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, stets darauf zu reagieren. Auf diese Weise hatte ich schon einige geplante Attacken der schwarzen Macht im Ansatz zunichte machen können.
»Kommen Sie mit?« fragte ich Marvin Nelson.
Er schüttelte den Kopf. »Sollten Sie mit Ihrer Befürchtung recht haben, wäre ich Ihnen keine Hilfe, Mr. Ballard, sondern höchstens ein Hemmschuh.«
»Soll ich euch begleiten, Tony?« fragte Frank Esslin.
»Nicht nötig«, erwiderte ich. »Silver und ich sehen den Jungs ein bißchen beim Tauchen zu, und sollte sich herausstellen, daß alles in Ordnung ist, sind wir noch vor dem Eintreffen unserer Freunde aus London wieder zurück.«
Für Mr. Silver tauchte die Frage auf: Wohin mit dem Höllenschwert? Es erschien ihm zu gefährlich, die Waffe unbeaufsichtigt in Nelsons Haus zurückzulassen, deshalb nahm er sie mit.
Als wir auf die Straße traten, explodierten ein paar kleine Knallkörper, die zwei Betrunkene angezündet hatten. Als es ohrenbetäubend laut krachte, kicherten die Männer, umarmten sich und führten einen Freudentanz auf.
»Für die hat die Geburtstagsfeier von Cullkirk bereits begonnen«, sagte Mr. Silver grinsend.
»Von der Sorte werden bald mehr zu sehen sein«, gab ich zurück.
»Hast du vor, dich ebenfalls vollaufen zu lassen, wenn sich herausstellt, daß alles okay ist?«
»Nein, wozu?«
»Ich habe dich noch nie betrunken gesehen.«
»Das wirst du wohl auch weiterhin nicht erleben. Ich meine, ich trinke zwar ab und zu ganz gern ein Gläschen, aber von sinnlosem Alkoholreinschütten halte ich nichts.«
»Wenn du das auch Charlie le Mat gesagt hättest, hätte er wahrscheinlich über deinem Kopf einen Heiligenschein leuchten gesehen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Heiliger. Ich habe nur etwas gegen alles Übertriebene.«
Wir erreichten den Hafen und begaben uns an Bord von Marvin Nelsons Boot.
»Mach die Leinen los«, verlangte ich von Mr. Silver.
Nachdem er es getan hatte, sagte er: »Du kannst in See stechen, Meister.«
»Womit denn stechen?« fragte ich schmunzelnd.
»Ach, das heißt doch bloß so.«
»Tatsächlich?«
Mr. Silvers Brauen zogen sich unwillig zusammen. »Komm, Tony, nimm
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