018 - Der Schatz der toten Seelen
warum, aber in deiner Nähe fühle ich mich sicher. Es ist ein herrliches Gefühl. Ich lerne es zum erstenmal in meinem Leben kennen.«
Roxane hatte Mitleid mit dem Kleinen. Was für ein schreckliches Leben zu führen er doch gezwungen war. Sie nahm sich vor, gut auf Cruv aufzupassen. Nicht nur deshalb, weil sie mit seiner Hilfe den Weg zum Tunnel der Kraft finden würde, sondern weil der Gnom ihr auch ungemein sympathisch war.
Er hob seinen Dreizack auf, und Roxane ging mit ihm. Sie entfernten sich von den Höhlen, wo sich Cruvs Schicksal erfüllen sollte, und wanderten durch eine wildromantische Landschaft.
Roxane sah einen hohen glatten Stein, der wie ein Finger aus dem Boden ragte. Cruv sagte, das wäre ein Monolith.
»Solche Steine kannst du überall auf Coor finden. Es gibt viele davon.«
Roxane erinnerte sich, tatsächlich schon solche Monolithen gesehen zu haben.
»Sind diese Steine etwas Besonderes?« wollte die Hexe aus dem Jenseits wissen.
»O ja«, antwortete Cruv. »Sie beherbergen große Zauberkräfte in sich. Sie stellen Brücken zu allen anderen Welten dar.«
»Heißt das, daß man mit ihrer Hilfe in eine andere Welt gelangen kann?« fragte Roxane.
»Ja.«
»Warum bist du dann immer noch hier? Warum hast du nicht schon längst versucht, von dieser für dich so gefährlichen Welt wegzukommen? Es gibt doch wesentlich friedlichere Welten.«
Der Gnom senkte traurig den Blick. »Denkst du, ich habe noch keinen Fluchtversuch unternommen?«
»Wieso hat es nicht geklappt?«
»Die Brücke existiert für Gnome nicht. Merk dir diese Monolithen gut, Roxane. Einer von ihnen könnte dir einmal das Leben retten.«
»So? Wie denn?«
»Wenn du in Gefahr bist und Hilfe brauchst… Wer könnte dir in einem solchen Fall beistehen? Wer würde alles für dich tun, um dich zu retten?«
»Mr. Silver«, sagte Roxane ohne nachzudenken.
Der Gnom nickte. »Solltest du irgendwann mal auf Coor in Schwierigkeiten geraten, mußt du versuchen, deine Hand auf einen solchen Stein zu legen.«
»Und dann?«
»Dann rufst du Mr. Silvers Namen.«
»Was passiert dann?«
»Auf diese Weise kannst du ihn zu dir holen, und er hat die Möglichkeit, dir beizustehen.«
»Angenommen ich lege jetzt meine Hand auf den Stein und rufe Mr. Silver.«
»Dann geschieht nichts. Du kannst deinen Retter nur herholen, wenn du in großer Gefahr bist.«
Roxane atmete hörbar aus. »Hoffentlich kommt es nie dazu, daß ich die Zauberkraft dieser Monolithen testen muß.«
***
Wir trugen wieder unsere Kleider. Ich steuerte Marvin Nelsons Motorboot. Die Yacht wurde von Charlie le Mat gelenkt. Wir brausten nach Cullkirk zurück.
Ein dicker Kloß saß in meinem Hals. Ich wußte nicht, wie wir den Geisterpiraten ihren Gefangenen wieder abjagen sollten. Mir tat der Junge schrecklich leid. Er mußte entsetzliches mitmachen, und keiner war in der Lage, ihm beizustehen.
Kapitän Nimu Brass war auf große Fahrt gegangen. Unter Wasser! Mit Roy Cassidy an Bord!
Was hatten die Seeräuber mit dem Jungen vor? Wohin wollten sie mit Roy? Würden sie zurückkommen? Zumindest eine Schatztruhe lag noch auf dem Meeresgrund. Die ließ Nimu Brass doch bestimmt nicht einfach zurück.
Also würde das Geisterschiff wiederkommen. Aber wann? Und für wie lange hatte Roy Cassidy noch Luft in seinem Atemgerät?
Die Geisterpiraten kamen ohne Sauerstoff aus. Aber ihr Gefangener nicht. War Roy Cassidy allein schon aus diesem Grund dem Tod geweiht?
Wir näherten uns dem Hafen von Cullkirk.
Als wir anlegten, standen Vicky Bonney, Oda, Frank Esslin und Lance Selby auf der Mole. Hinter ihnen tauchte auch noch Marvin Nelson auf. Wir gingen an Land.
Ich küßte Vicky und Oda.
»Wo ist Roy?« wollte Marvin Nelson wissen.
Ich schlug Lance zur Begrüßung auf die Schulter und sagte zu Nelson: »Sie haben sich geirrt. Es gibt den Schatz der toten Seelen. Leider nicht nur ihn. Auch Kapitän Nimu Brass und seine Mannschaft existieren noch.«
Nelsons Augen weiteten sich erschrocken und ungläubig. »Was, die Seeräuber leben noch? Aber… wie ist denn das möglich?«
»Wenn Sie schon so viel erlebt hätten wie ich, würden Sie sich darüber nicht mehr wundern«, knurrte ich.
Im Telegrammstil berichtete ich, was vorgefallen war.
»Großer Gott, was kann man jetzt tun?« fragte Nelson.
»Ich denke, wir liefern die beiden Jungen erstmal beim Bürgermeister ab«, erwiderte ich. »Vielleicht kann er ein paar mutige Männer zusammentrommeln, die sich mit uns auf die Suche nach
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