018 - Die Vampirin Esmeralda
undurchdringliche Dunkelheit, aber Esmeralda bildete sich ein, daß sich dort unheimliche Schatten bewegten.
»Bitte, Señoritas!« Der Soldat, der ihr in so eindrucksvollen Worten Graf de Godoys Lebensgewohnheiten geschildert hatte, bat sie mit einer Verbeugung, ins Schloß einzutreten.
Esmeralda und Isabell hielten sich an den Händen, als sie in die große Halle traten. Ein Soldat war vorausgeeilt und hatte Kerzen angezündet. Esmeralda blickte sich fröstelnd um. Die große Halle wurde von Säulen gestützt. Im Hintergrund wand sich eine breite Holztreppe ins Obergeschoß. Vor den hohen Fenstern hingen schwere Vorhänge, die verhinderten, daß das Tageslicht hereinfiel.
Esmeralda blickte zur Decke hoch und hielt unwillkürlich den Atem an. Isabell, die ihrem Blick gefolgt war, klammerte sich fest an sie. Die gewölbte Decke war mit Fresken bemalt, die unheimliche Szenen darstellten. Fremdartige Ungeheuer bedrängten nackte Mädchen, aus deren Halswunden Blut floß. Im Schein der Kerzen schienen die Ungeheuer zu leben, sich zu bewegen. Esmeralda hatte das Gefühl, als würden sie sich auf sie stürzen. Sie wandte sich ab.
Der Wortführer der Soldaten nahm ein Pergament von einer Säule, das dort befestigt worden war. »Ihre Zimmer stehen bereit, Señoritas. Der Graf hat alles für Sie vorbereitet, damit Sie sich in seinem Hause wohl fühlen. Bitte folgen Sie mir!« Er führte sie über die knarrenden Holzstufen ins Obergeschoß und wandte sich dort nach links. »In diesem Trakt liegt Euer Zimmer, Señorita Isabell.« Er wies Esmeralda nach rechts, als sie sich ebenfalls in diese Richtung wenden wollte. »Ihr wohnt auf der anderen Seite. Wollt Ihr Euch bitte schon auf Euer Zimmer begeben? Es ist die letzte Tür im rechten Trakt. Meine Leute werden Eure Sachen nachbringen.«
Esmeralda blieb eine Weile wie angewurzelt stehen und blickte Isabell und dem Soldaten nach. Bevor Isabell um die Ecke verschwand, sah sie sich noch einmal verzweifelt um. Esmeralda schenkte ihr ein tapferes Lächeln, obwohl sie selbst vor Verzweiflung und Angst am liebsten geschrien hätte.
Was für ein unheimliches Schloß! Es herrschte Totenstille und Dunkelheit; das heißt, es war nicht absolut dunkel. Die Vorhänge an den Fenstern konnten nicht alles Licht ausschließen, aber in diesem Dämmerlicht erschien alles nur noch unheimlicher.
Esmeralda setzte sich in Bewegung und hörte das Hallen ihrer Schritte auf dem Steinboden. Sie kam sich verloren vor, als wäre sie das einzige Lebewesen weit und breit. Am liebsten wäre sie davongerannt. Doch sie tat es nicht, sondern setzte fast automatisch – wie unter fremden Zwang – einen Fuß vor den anderen, bis sie das Ende des langen Ganges erreicht hatte. Dort öffnete sie eine doppelt mannshohe Tür und trat in einen verdunkelten Raum. Sie schloß die Tür nicht hinter sich und zog als erstes sofort die Vorhänge auf. Die Sonne versank gerade am Horizont. Doch selbst in ihrem Schein wirkte das Zimmer nicht freundlicher. Die Holztäfelungen an den Wänden, die kunstvoll geschnitzten Schränke und Stühle, das klobige Himmelbett, über dem der staubig wirkende Baldachin drohend lastete – all das erschien Esmeralda unheimlich. Die Decke bestand auch hier aus Fresken mit mythologischen Szenen; allerdings handelte es sich um eine Esmeralda unbekannte Mythologie, den Geschehnissen des Dämonenreiches angepaßt.
Sie zuckte zusammen, als sie ein Geräusch an der Tür hörte. Sie wollte schon aufschreien, doch es war nur ein Soldat, der ihre schweren Koffer hereinschleppte. Er ging wieder, ohne ein Wort zu sagen. Hinter ihm krachte die Tür ins Schloß.
Als sich Esmeralda wieder dem Fenster zuwandte und sehnsüchtig ins Freie blickte, stach ihr ein Pergament ins Auge, das auf einem Schreibtischchen lag. Sie nahm es zur Hand und las, was dort mit blutroter Tinte geschrieben stand:
Verzeiht meine Abwesenheit, holdes Kind, aber sicherlich hat man Euch schon über meine Angewohnheit erzählt, die Nacht zum Tag zu machen. Tagsüber erhole ich mich. Ich hoffe, daß Ihr Euch mir anpassen könnt. Ruht Euch erst einmal aus und schlaft. Schlaft tief! Ihr werdet zur rechten Zeit geweckt werden, und dann will ich bei einem ausgelassenen Bacchanal alles nachholen, was ich bei Eurem Empfang versäumt habe. Schlaft und ruht Euch aus! – Graf Ramon de Godoy.
Die Schrift verschwamm vor ihren Augen. Sie fühlte sich plötzlich unsäglich müde, fiel aufs Bett und war sofort eingeschlafen.
Esmeralda
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