0184 - Schlimmer als der Satan
Gilda.
»Wo?«
»Auf deinem Teller.«
Von der Gruppe her schallte lautes Lachen zu ihnen herüber.
Deshalb war Willie etwas irritiert. Er blickte erst später auf seinen Teller, den er in der linken Hand hielt.
Sie hockte tatsächlich dort.
Willie schaute genauer. Er wollte sehen, ob ihm seine Freundin da einen Witz unter die Weste gejubelt hatte. Willie beugte den Kopf und hob den Teller gleichzeitig an.
Gilda war einen Schritt zurückgegangen. Sie stand jetzt mit der rechten Seite zum Gitter.
Willie schaute genau. Die Fliege bewegte sich. Sie saugte den süßlich riechenden Ketchup.
Da wurden Willies Augen groß. Plötzlich hatte er das Gefühl, vom einem Kübel Eiswasser übergossen worden zu sein. Gilda hatte nicht gelogen, nein, überhaupt nicht.
Die Fliege auf dem Teller besaß in der Tat den Kopf eines Menschen. Deutlich waren die Haare zu erkennen. Sie schillerten rötlichblond und hoben sich in der Farbe von dem übrigen Fliegenkörper ab.
Willie atmete schwer. Er wußte wirklich nicht, was er tun sollte und schluckte.
»Habe ich recht?« fragte Gilda flüsternd.
Der Torwart nickte.
»Und was machen wir jetzt?«
Willie hob die Schultern. Dabei ließ er die Fliege keinen Moment aus den Augen. »Vielleicht ist sie aus Plastik«, murmelte er, »und da hat sich jemand einen Scherz erlaubt.«
Gilda schüttelte den Kopf. »Nie!« stieß sie hervor. »Nie ist die aus Plastik.«
»Aber eine echte gibt es nicht.«
»Du siehst sie doch vor dir.« Die Haltung des Girls hatte sich versteift. Die Arme lagen am Körper an. Die Hände waren gespreizt, die schmalen Finger erinnerten an die Beine einer Spinne. Auf ihrem Gesicht lag eine Gänsehaut.
Gilda hatte Angst. Sie fürchtete sich vor dem Unerklärlichen. Das Grauen war nah, sie spürte es instinktiv, und sie wagte kaum, Luft zu holen.
»Ich werde sie töten!« flüsterte der Torwart. »Killen!« Er starrte auf das Insekt, was sich nicht stören ließ, sondern durch den winzigen Menschenmund den süßlichen Ketchup schlürfte. Mit den Beinen tastete es auf der Oberfläche der Soße herum, und vorsichtig bewegte Willie seine rechte Hand.
Nahe dem Rand und dabei quer über den Teller lag der eiserne Schaschlikspieß. Ihn hatte Willie ins Auge gefaßt, und er sollte ihm als Waffe dienen.
Dabei »öffnete« er Daumen und Zeigefinger, so daß beide wie ein Schnabel wirkten. Er führte sie noch näher an den eisernen Spieß heran und griff vorsichtig zu.
Mit den Fingerkuppen umfaßte er den Spieß. Es bereitete ihm ungeheure Mühe, das längliche Stück Eisen hochzuheben. Willie stand unter Streß. Auf seiner Stirn lag der Schweiß dick, und er atmete nur durch den Mund.
Eine unbedachte Bewegung, und die Fliege würde davonsummen.
Vorsichtig hob Willie den Spieß an.
Es klappte.
Die Fliege ahnte von allem nichts. Sie beschäftigte sich weiterhin mit dem süßlichen Ketchup, trank ihn und labte sich daran. Aber sie würde sich wundern.
Willie war aufgeregt. Seine Zunge huschte über die Lippen. Manchmal, beim Elfmeter, da hatte er das gleiche Gefühl. Er traute sich nicht, den Schweiß von seiner Stirn zu wischen, diese unbedachte Bewegung hätte die Fliege unter Umständen verscheucht.
Vorsichtig kippte Willie den Schaschlikspieß. Vorn lief er spitz zu, an seinem anderen Ende befand sich ein Ring, durch den man die Finger stecken mußte, wenn das Fleisch vom Spieß gelöst werden sollte.
Da Willie den Spieß nur mit zwei Fingern festhielt und er sein Gewicht hatte, zitterte er in seiner Hand. Das mußte vermieden werden. Willie konzentrierte sich noch stärker. Es durfte doch nicht so schwer sein.
Ein Stoß – und…
»Paß auf«, flüsterte er Gilda zu. »Gib nur genau acht. Jetzt stoße ich zu…«
Er tat es!
Gedankenschnell rammte Willie den Spieß nach unten. Er hatte genau gezielt – und traf!
Die Spitze des zweckentfremdeten Schaschlikspießes traf die Fliege in der Körpermitte und teilte sie. Willie wollte schon aufatmen, als er das menschliche Gesicht sah.
Und er horte einen Todesschrei.
Leise nur, aber so voller Qual, daß ihm angst und bange wurde und er hastig den Teller fallen ließ. Sogar das Gesicht hatte er in der letzten Sekunde noch sehen können. Es war seltsam verzerrt gewesen, wie bei einem Menschen, der den letzten Atemzug in seinem Leben macht.
Ich bin ein Mörder! schoß es Willie durch den Kopf. Ein verdammter Mörder!
Gilda sagte nichts. Sie starrte ihren Freund nur an. Die Blicke der beiden jungen Menschen
Weitere Kostenlose Bücher