0191 - Fenris, der Götterwolf
berichten. Er hätte mir sicherlich nicht geglaubt.
Zwei Schlucke hatte er genommen und griff nach einem Stück Kuchen, als ich fragte: »Wie ist das denn nun mit dem Kloster? Welche Bedeutung hat es?«
Der Pfarrer winkte ab und kaute gleichzeitig. Dazu schüttelte er noch den Kopf. »Nur dummes Gerede, mehr nicht. Glauben Sie mir, die Leute erzählen viel.«
»Was erzählen sie?«
»Daß es in dem alten Kloster nicht mit rechten Dingen zugehen soll.«
»Und?«
»Es ist alles normal.«
»Davon haben Sie sich überzeugt?«
»Natürlich, Mr. Sinclair. Ich bin zwei- bis dreimal im Monat bei den Nonnen.«
»Dann ist das Kloster noch besetzt?«
Da lachte der Pfarrer. »Natürlich, was haben Sie denn gedacht?«
»Und wie kommt man darauf, solche Gruselgeschichten darüber zu erzählen?« wollte Suko wissen.
»Eine alte irische Sage.«
»Erzählen Sie ruhig«, forderte ich den Pfarrer auf. »Wir hören solche Geschichten gern.«
»Der Legende nach soll das Kloster auf einem verfluchten Platz gebaut worden sein. Und zwar auf einem Platz, wo sich der Götterwolf Fenris mit seinen weiblichen Artgenossen paarte. Da Fenris aber magische Kräfte nachgesagt worden sind, entstanden nach der Paarung Wölfe, die ewiges Leben besaßen, daß jedoch immer wieder erneuert werden mußte, so paradox sich das anhört. Die Wölfe waren dazu verflucht, sich die Seelen der Toten zu nehmen, um weiterleben zu können. Das ist alles, was die Geschichte hergibt.«
»Und als was lebten sie weiter?« fragte ich.
»Als Wölfe.«
»Werwölfe?«
»Nein, normale Wölfe, wie es sie in den dichten Wäldern der Berge früher gab.«
»Und heute nicht mehr?«
»Nein, die sind ausgerottet.«
»Wieso haben wir dann einen Wolf im Sarg gesehen?«
Jetzt blitzte es in den Augen des Pfarrers ärgerlich auf. »Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, einer Halluzination zum Opfer gefallen zu sein?«
»Nein, Herr Pfarrer. Sie vielleicht, wir nicht.«
»Sie glauben also an die Wölfe.«
»Ja, und wir werden nicht eher abreisen, als daß wir das Rätsel gelöst haben.«
»Das schaffen Sie nie.«
»Und aus welchem Grunde nicht?«
»Weil es keine Wölfe und keine schwarze Magie gibt. Diese ganze Geschichte ist Legende. Meinetwegen auch erfunden. Sie sind da auf dem falschen Dampfer, Herr Oberinspektor. Tut mir leid, daß ich Ihnen das in dieser Stunde der Trauer so deutlich sagen muß. Wirklich, ich hätte Sie beide für vernünftiger gehalten. Sie kommen doch aus der Großstadt und glauben tatsächlich noch an diese Ammenmärchen?«
»Wir haben Erfahrungen«, sagte Suko.
»Mit Wölfen?« Die Frage klang spöttisch.
»Sogar mit Werwölfen«, bestätigte Suko.
Der Pfarrer schnaubte. »Jetzt wollen Sie mich auf den Arm nehmen, wie?«
»Ganz und gar nicht«, antwortete ich. »Mit diesen Dingen scherzen wir nämlich nicht, die sind viel zu ernst.«
Unser Gegenüber öffnete den Mund.
Es sah so aus, als wollte er eine Antwort geben, dann jedoch schüttelte er den Kopf, quälte sich ein Lächeln ab und sagte: »Es tut mir leid, aber ich muß auch mit den direkt Betroffenen sprechen.«
»Selbstverständlich, Herr Pfarrer«, sagte ich.
Der Geistliche stand auf. Er wechselte den Tisch. Jetzt nahm er bei Emily Berger und dem älteren Ehepaar Platz.
»Den haben wir verärgert«, meinte Suko.
Ich hob die Schultern. »Möglich. Mich wundert es wirklich, daß er sich weigert, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Eine Halluzination war es bestimmt nicht.«
»Da gebe ich dir recht.«
Es befand sich noch Kaffee in der weißen Kanne. Ich schenkte den Rest ein. Suko schaute dabei auf den braunen Strahl, der aus der Öffnung in die Tasse floß. »Und was machen wir? Schauen wir uns das Kloster an?«
»Worauf du dich verlassen kannst«, erwiderte ich.
»Auf die Nonnen bin ich wirklich gespannt«, sagte der Chinese.
»Wenn sie wirklich etwas mit Schwarzer Magie zu tun haben, dann dürfte sich auch kein einziges Symbol der christlichen Lehre innerhalb der Klostermauern befinden. Da der Pfarrer jedoch des öfteren dem Kloster einen Besuch abstattet, wird es sicherlich völlig normal sein, wie ich glaube.«
Suko wiegte den Kopf. »Wäre es nicht möglich, daß der Pfarrer mit den Wölfen unter einer Decke steckt?«
»Mal den Teufel nicht an die Wand.«
»Ausschließen können wir es auch nicht.«
»Nein, ich möchte es nur nicht hoffen.«
»Da hast du recht.«
Ich schaute auf die Uhr. Es war inzwischen Nachmittag geworden. Keine zwei Stunden mehr, und
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