0191 - Sing-Sing ist kein Erholungsheim
rieb sich die Hände. »Jetzt haben die Kumpels da oben kapiert, daß dies die beste Chance ist, mit den anderen beiden G-men auch gleich fertig zu werden!« Nelsons Augen zogen sich zusammen. Aus den Augenwinkeln blickte er nach links und nach rechts. Niemand war weit und breit zu sehen. Es gab keinen Zeugen. Sollte er warten, bis Valley in einem günstigen Augenblick die Pistole zog und ihn, Rock Nelson, erschoß, wie er es doch bereits angekündigt hatte?
Blitzschnell fuhren seine beiden Fäuste in die Höhe. Die beiden mörderischen Hiebe kamen für Valley so überraschend, daß er nicht einmal mehr die Hände hochbekam, um sich zu decken. Er geriet aus dem Gleichgewicht, taumelte einen Schritt zurück und geriet mit der linken Wade an die Leitplanke. Sofort verstand er die ungeheure Gefahr. Sein Mund öffnete sich, aber da setzte Nelson eine gerade Rechte gegen Valleys Kinn nach.
Der Gangster Roger Valley kippte nach hinten. Mit einem gellenden Schrei stürzte er in die gähnende Tiefe…
***
Mock Poove hatte einige Stunden in tiefer Bewußtlosigkeit gelegen. Als er zu sich kam, war es mehr ein dämmerndes Schweben zwischen Schmerzen, wirren Phantasiegebilden und wirklichem Wachsein.
Fast eine halbe Stunde lang lag er zwischen den Büschen im Central Park, bevor er auch nur soviel sehen konnte, daß ihm die Umrisse seiner Umgebung bewußt wurden.
Er sah Gras vor seinen Augen. Mühsam tastete sich seine Hand hoch, bis er unbeholfen über seine Lippe wischen konnte. Sie war naß. Als er die Hand wegzog, hatte sie sich rot gefärbt..
Blut! dachte er. Blut!
Ein heißer Schmerz fraß sich tief in seine Brust, vom Herzen ausgehend, langsam durch den ganzen Körper. Das Atmen war unendlich mühselig und sehr schmerzhaft. Irgend jemand mußte ihm zugesetzt haben…
Aber wer eigentlich? Wie kam er überhaupt ins Freie? Er war doch im Dienst gewesen. Zusammen mit Valley hatte er doch im Aufenthaltsraum gestanden und gewartet - gewartet? Worauf hatte er gewartet?
Irgendwann fiel ihm ein, daß sie mit dem Chef gesprochen hatten, mit dem MC. Er hatte jedem einen kleinen Revolver gegeben. Ja, das wußte er noch. Einen kleinen Revolver…
Mock Poove bewegte sich ächzend. Er fühlte die Kälte nicht, die vom Boden ausging. Alles in seinem Körper war glutheiß. Aber er sah plötzlich die hellgraue Schirmmütze seiner Uniform dicht neben seinem Kopf. Und er sah den kleinen Revolver darin.
Eine Weile starrte er auf die Waffe, ohne irgend etwas denken zu können. Verworrene Bilder jagten in bunter Kette durch sein Gehirn. In einem Augenblick großer Klarheit spürte er die Schmerzen nicht einfach nur mit seinen Nerven und Instinkten, sie wurden ihm endlich auch richtig bewußt. Logisch sagte er sich: Ich muß jemand auf mich aufmerksam machen. Ich brauche einen Doc. Je schneller, desto besser. Es muß doch ein Mittel gegen die Schmerzen geben!
Er versuchte zu schreien. Aber der bloße Versuch brachte ihn in eine Hölle. Er mußte husten, was wahnsinnige Stiche in seiner Brust erzeugte. Eine Weile blieb er erschöpft liegen.
Und dann tat er das einzig Vernünftige. Er tappte mit der Rechten unsicher nach der Mütze, bekam den Revolver in die Hand und versuchte abzudrücken. Zweimal strengte er sich an, bevor er merkte, daß der Hahn noch nicht gespannt war.
Abermals mußte er eine Pause einlegen, um sich auszuruhen. Alles in allem brauchte er gute 20 Minuten vom Entdecken der Waffe bis zu dem Zeitpunkt, an dem er endlich den Hahn zurückgeschoben hatte und abdrücken konnte.
Zweimal peitschte ein Schuß durch die nordwestliche Ecke des Central Parks.
Der Lärm der Schüsse breitete sich durch Büsche und Hecken über die ganze Rasenfläche aus. Er fuhr an Bäumen vorbei und über Teiche dahin. Und er erreichte das Ohr von Samuel P. Morgan, dem pensionierten Richter des Criminal Court.
Morgan saß auf einer Bank und sah den Schwänen zu, die in majestätischer Gelassenheit auf dem Teich dahintrieben. Als er die Schüsse hörte, stutzte er, dachte nach und murmelte: »Wahrscheinlich ein kleiner 22er.«
Er verstand etwas von Schußwaffen. Sie waren sein Hobby. Er besaß eine sehr schöne Sammlung mittelalterlicher Handfeuerwaffen, auf die er nicht wenig stolz war.
Aber er war noch rege genug mit seinen 74 Jahren, daß er zwei Schüsse im Central Park nicht achtlos vorüberkrachen ließ. Nach einem kurzen Nachdenken erhob er sich und stapfte, weit mit seinem Spazierstock ausholend, dem nächsten Ausgang des Parks
Weitere Kostenlose Bücher