0192 - Hotel zur dritten Hölle
Nadine Berger dachte, die ja von Beruf Filmschauspielerin gewesen war. Jetzt befand sich ihre Seele wahrscheinlich im Körper eines Wolfes.
Jane Collins drückte mir ihre Hand in die Seite. »Woran denkst du, John? Du bist so ernst.«
»An nichts.«
»Lüg nicht.«
»Männer denken immer an etwas«, ergriff Lady Sarah das Wort.
»Und wenn es an eine andere Frau ist.«
Da hatte die alte Dame sogar Recht, aber das konnte ich unmöglich zugeben. Deshalb ließ ich mir eine gute Ausrede einfallen. »Neben dem Kino gibt es doch eine Kneipe. Da warte ich so lange auf euch. Einverstanden?«
»Nein!«
Wenn Frauen sich sonst niemals einig sind, geht es jedoch gegen das männliche Geschlecht, dann halten sie zusammen, und das spürte ich auch jetzt wieder, denn die Antwort kam wie aus einem Mund.
Es war auch nur ein schwacher Protestversuch gewesen. Also fügte ich mich in mein Schicksal und nickte ergeben. Zudem hatte ich es Lady Sarah versprochen Sie war sowieso ein Phänomen. Was sich die alte Dame alles an Filmen anschaute, das taten nicht einmal Jugendliche.
Sie nahm jeden Horrorfilm und jeden Krimi mit. Zudem sammelte sie noch Horror-Literatur und Bücher, deren Inhalte sich mit Grenzwissenschaften beschäftigten. Sie wußte in der Astrologie Bescheid, in der Metaphysik, kannte sich theoretisch aus in der Telepathie und Teleportation und hatte selbst des öfteren kräftig mitgemischt, wenn es um heiße Fälle ging.
Einmal wären sie und ich fast zusammen in einer Leichenkammer verbrannt worden. [2]
Das alles hatte ihren Mut und die Einsatzbereitschaft nicht gebrochen.
Sie mischte immer mit, und auf Flohmärkten, Friedhöfen und an den Kinokassen war die Horror-Oma eine bekannte Figur. Geld besaß sie genug. Drei Männer hatte sie überlebt. Jeder hinterließ ihr ein kleines Vermögen, das Zinsen brachte.
Die Horror-Oma steckte das Geld in die Kinderdörfer und Kinderhilfswerke. Sie unterstützte auch alte und kranke Menschen, aber das erzählte sie kaum jemandem, denn sie wollte nicht, daß ihr Name irgendwie an die Öffentlichkeit drang.
So war sie eben.
Dann hatte sie neben dem Gruseln noch ein Hobby. Schmuck. Sie behängte sich mit Ketten. Fünf baumelten mindestens immer um ihren Hals. Heute waren es sechs, und eine schillerte stärker als die andere.
Die gute Sarah Goldwyn war wirklich ein kleines Phänomen. Ich hoffte nur, daß sie noch lange am Leben blieb.
Wir hatten das Kino erreicht. Der Eingang war ziemlich schmal. Die Gäste drängten sich, so daß der hell geflieste Boden kaum zu sehen war.
Es waren Jugendliche zumeist, und ich kam mir schon richtig alt vor.
Aber dann erlebte ich Sarah Goldwyn in Aktion. Irgendwie schien es immer das gleiche Publikum zu sein, das die Filme besuchte, denn man kannte Lady Sarah.
Augenblicklich sah sie sich von Jugendlichen umringt, die ihr die Hände schüttelten und sie manchmal sogar mit einem Kuß begrüßten.
Lady Sarah kannte auch die meisten mit Namen. Für jeden hatte sie ein Wort. Manchmal schimpfte sie auch. Dann hatte sie wieder etwas von einem jungen Mann gehört, das nicht ganz rechtens war. Mrs. Goldwyn stand auch mit der Polizei und dem Jugendamt in Verbindung. Manches Mal hatte sie mit ihren guten Beziehungen gesorgt, daß ein junger Mensch am Knast vorbei rutschte.
Ich mußte grinsen.
Jane Collins lächelte. Sie trug bereits ihren Wintermantel und hängte sich bei mir ein. »Ich finde es toll, was Mrs. Goldwyn da macht.«
»Und wie.«
Dann wurden die beiden Türen geöffnet. Dieses Kino zählte noch zu den älteren. Kein Bau, in dem sich zehn Kinos unter einem Dach befanden. Der Besitzer hatte sich auf besondere Filme spezialisiert, wobei er nicht nur Horrorstreifen spielte, sondern auch künstlerisch wertvolle Produktionen und Erstlingswerke von Regisseuren. Dann waren die Vorstellungen allerdings nie ausverkauft.
Viele wollten in der Nähe der Horror-Oma sitzen, die sogar die Platzanweiserin mit Handschlag begrüßte. Wir nahmen etwas weiter von ihr entfernt Platz, damit sie sich mit den Jugendlichen unterhalten konnte, saßen allerdings mit ihr in einer Reihe.
Ihr kennt das ja, Freunde, wenn man im Kino sitzt. Da kommt erst die Reklame, meist ein langweiliger Vorfilm, und dann geht es richtig los, vorausgesetzt, es werden nicht noch Eis oder Pralinen verkauft.
Nach dem dritten Gongschlag begann der Hauptfilm.
Zuerst sah ich nur Schrift, und die Sätze wiesen daraufhin, daß die Handlung des Films auf Tatsachen beruhte und nichts
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