0193 - Der Mitternachts-Vampir
sollte sehen, wo sie hinging.
Um so größer würde ihre Überraschung werden.
Der Vampir trug auch lange Zündhölzer bei sich. Es war still innerhalb des Stollens, deshalb klang das Geräusch überlaut, als der Kopf des Streichholzes über die Reibfläche scheuerte.
Eine Flamme zuckte, zischte etwas, wurde größer, und der Vampir führte sie an die Fackel.
Das obere Ende fing Feuer. Rotgelb bewegte sich die brennende Fahne und sonderte einen feinen Rauchschleier ab. Licht und tanzende Schatten glitten über die Stollenwände, von denen das Wasser tropfte.
Auf dem Boden lagen dicke Steine. Manche von ihnen waren so groß wie ein Männerkopf. Sie bildeten Hindernisse und Stolperfallen.
Der Vampir bückte sich. Er wollte die Frau hoch zerren, als er sah, daß sie bereits die Augen offen hatte. Ihr Blick zeigte Unverständnis Sie begriff überhaupt nicht, wo man sie hingeschleppt hatte. Erst als das bleiche Gesicht des Blutsaugers vom Schein des Feuers erfaßt wurde, verstand sie.
Die Augen weiteten sich, ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, und der Vampir kicherte.
»Ja«, flüsterte er. »Schrei nur. Du kannst schreien, soviel du willst. Trotzdem wird dich keiner hören. Wir sind hier unter uns. Du hast keine Chance, denn ich mache dich zu meiner Braut.«
Die Frau zuckte hoch. Gleichzeitig verzog sie das Gesicht, weil sie Schmerzen verspürte, denn die Folgen des Schlages hatte sie noch nicht überwunden.
Der Arm des Vampirs schnellte vor. Es war der rechte, denn in der linken Hand hielt er die Fackel. »Du kommst mit, Täubchen«, flüsterte er.
»Ich mache dich zu meiner Braut. Daran geht kein Weg vorbei. Los, geh vor mir her…«
»Nein, nein…«
»Mach schon!« Der Blutsauger kannte keine Rücksicht. Er stieß die Frau vor sich her, und sie taumelte weiter in den Stollen hinein.
Gabi Leber war völlig durcheinander. Sie begriff nicht ganz, in welch einer Lage sie steckte. Daß sie eine Gefangene war, verstand sie schon, aber es war ihr noch nicht bewußt, daß sie sich in den Klauen eines Unholds befand.
Der Vampir stieß sie tiefer in den Stollen hinein. Er blieb immer zwei Schritte hinter ihr und leuchtete mit seiner Fackel, deren geisterhaftes Licht die gespenstische Zugabe dieses wilden Alptraums war, den Gabi erlebte.
Sie stand noch so sehr unter dem Eindruck des Grauens, daß sie an Flucht überhaupt nicht dachte. Zudem spürte sie Schmerzen im Kopf, und wie betäubt torkelte sie durch den Gang. Er führte tiefer in den Berg hinein, machte manchmal eine Kurve, führte mal bergauf, dann wieder nach unten und mündete schließlich dort, wo sich der Vampir zuhause fühlte.
In einer alten Grotte!
Es war mehr ein Keller oder ein Verlies. Die Wände bestanden aus alten Steinen, die sich unter dem Druck der Erdmassen zusammenpreßten und gut hielten. Niemand erinnerte sich mehr an dieses unheimliche Verlies, denn die Burg, zu dem es einst gehört hatte, existierte nicht mehr.
Sie war längst dem Erdboden gleichgemacht worden. Wo früher stolze Mauern die Angriffe der Feinde abgewehrt hatten, wuchs jetzt der dichte Wald des Taunus.
Automatisch blieb Gabi Leber stehen, als sie das Ende des Ganges erreicht hatte. Sie schaute in ein Verlies, das mittlerweile schon die Ausmaße einer Halle besaß. Völlig konnte sie es mit ihren Blicken nicht durchdringen, dafür war es einfach zu finster. Das Licht der Fackel reichte nicht aus, um auch das Ende zu erhellen und in jeden Winkel zu dringen.
Schwankend blieb Gabi stehen. Ein Schauder lief über ihren Rücken, als sie hinter sich die knirschenden Schritte des Unheimlichen hörte und dann auch seine Stimme.
»Wir sind da, schöne Frau«, sagte der Blutsauger. »Dies hier wird von nun an deine Heimat sein. Hier wirst du wohnen, leben und dich auch zurückziehen, wenn du dein Blut getrunken hast…«
Blut getrunken?
Gabi glaubte, sich verhört zu haben. Das konnte doch nicht wahr sein.
Sie sollte Blut trinken? Wenn ihre Gedanken doch nur klarer gewesen wären, aber sie hatte das Gefühl, als würde um ihren Kopf eine Watteschicht liegen, die jedes Wort filterte.
Angst schüttelte die Frau.
Der Vampir legte ihr seine kalte Hand auf die Schulter. »Geh schon vor, mein Täubchen. Schau dir ruhig alles an, meine Kleine!« Er drückte ein wenig und schob Gabi in das Verlies hinein, wobei er sich an ihrer Seite hielt.
Wie eine Marionette schritt Gabi weiter. Sie zitterte vor Angst. Erst in den letzten Minuten war ihr klar geworden, daß sie keinen
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