0195 - Eine schaurige Warnung
konnten. Links von uns, ein wenig tiefer, lag der kleine Ort. Ein See befand sich auch in der Nähe, und der Wald wuchs bis dicht an die Westseite des Ortes heran. Automatisch fuhr ich langsamer, um mir das Bild ein wenig einzuprägen. Eine friedliche Idylle, und ich mußte im nachhinein meinem ehemaligen Kollegen recht geben. Hier konnte man schon Urlaub machen.
Etwa hundert Yards weiter wurde die Idylle brutal zerstört. Als wir um die Kurve bogen, hatten wir einen freien Blick zur Nordseite des Dorfes.
Erschreckend wirkten die stählernen Ungetüme. Produkte einer nahezu unheimlichen Technik. Gewaltige Schaufelradbagger, Bohrgerüste, Kettenraupen und Lastwagen.
»Was bedeutet das denn?« fragte Suko.
»Kohle«, erwiderte ich. »Diese Geräte sind zum Abbau von Kohle bestimmt. Schottland ist reich an Kohle.«
»Und das in dieser Gegend?«
Sukos Frage klang ärgerlich, ich mußte ihm recht geben. »Leider.«
Mein Gesicht verdüsterte sich. »Das sind erst die Anfänge. Wenn sie richtig loslegen, wird bald kein einziger Hügel, kein Stück Wald mehr da sein. Statt dessen Fördertürme und Industrieanlagen.«
»Das ist doch eine Schweinerei.«
»Wem sagst du das?«
»Man müßte etwas tun.«
»Erzähle das mal den Politikern. Die rechnen dir die Arbeitslosenquote vor und machen dir weis, daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Daß die Natur dabei zum Teufel geht, interessiert sie herzlich wenig. Und die großen Konzerne juckt das sowieso nicht.«
Ich sagte die Worte bitter, denn immer wieder wurde ich auf meinen Reisen mit der Zerstörung der Umwelt konfrontiert, wenn den Londonern auch gelungen war, die Themse wieder sauber zu bekommen, so daß sich Fische darin halten konnten. Woanders jedoch wurde weiter an der Natur gesündigt. Hier hatten wir das beste Beispiel.
Langsamer fuhren wir weiter. Die Strecke blieb kurvig. Sie führte jetzt ein wenig bergab, und das Dorf mußten wir bald erreicht haben.
»Da!«
Sukos Warnung hörte ich zwar, doch ich hatte es selbst gesehen.
Rechts vom Straßenrand, wo sich ein kleiner Graben befand, hinter dem Büsche wuchsen, löste sich eine vierbeinige Gestalt.
Es war ein großer Hund, und er blieb auf der Straße stehen.
Ich verringerte die Geschwindigkeit noch mehr, weil ich nicht in Gefahr laufen wollte, das Tier anzufahren.
»Das ist kein Hund«, sagte Suko, »sondern ein Wolf.«
Inzwischen hatte ich dies auch festgestellt. Wir hatten es wirklich nicht mit einem Schäferhund zu tun, auch wenn es im ersten Augenblick so ausschaute.
Das Tier schien sich für unseren Wagen zu interessieren, denn es trottete langsam näher. Dabei hob es seinen Kopf, als wollte es versuchen, in den Bentley hineinzuschauen.
Das rötlich braune Fell glänzte seidig, und ich trat auf die Bremse, als der Wolf auf der Straßenmitte stehenblieb.
Natürlich dachte ich sofort an einen Werwolf, denn mit Werwölfen hatten wir in den letzten Wochen so unsere Erfahrungen gemacht. Allerdings verhielten sich die anders.
Unser Wolf stand vor dem Wagen und hob den Kopf.
Ich saß da, schaute durch die Scheibe und rührte mich nicht. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken. Auch als das Tier kehrtmachte und wieder verschwand, blieb ich noch sitzen.
»He, was ist?« fragte Suko.
Er erhielt keine Antwort.
Erst als er mich anstieß, erwachte ich wie aus einem langen Traum.
»John, was ist los mit dir?«
»Suko«, antwortete ich mit leiser Stimme, »mir kommt es vor, als hätte ich das Tier schon einmal gesehen.«
»Warst du hier?«
»Nein, nicht hier. Aber erinnere dich an Irland. An Nadine Bergers Beerdigung und den Terror der Wölfe. Als wir in den Wagen stiegen und abfuhren, stand vor uns ein Wolf. [2] Wie hier, und er schaute uns an. Mit Augen und Blicken, die ich kannte. Mit Nadine Bergers Augen, Suko. Genau.«
Der Chinese schluckte. »John, du glaubst doch nicht etwa, daß dies der gleiche Wolf ist wie in Irland?«
»Doch, das glaube ich.«
»Aber das wäre ja…« Er schüttelte den Kopf. »Nein, John, unmöglich. Wie soll der Wolf von Irland hier nach Schottland gekommen sein? Er hätte schwimmen müssen.«
»Wie er das geschafft hat, ist mir egal, Suko. Aber er hat es geschafft, da bin ich mir ganz sicher.«
Meine Stimme zitterte ein wenig, weil mich die Erinnerungen übermannten. Ich legte meinen Kopf nach vorn und preßte die Stirn auf das Lenkrad. Ich dachte an Nadine Berger, die einem schrecklichen Dämon zum Opfer gefallen war und deren Seele meiner Ansicht
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