0195 - Eine schaurige Warnung
grünlich, und die Lippen waren ebenfalls blaß und hatten die gleiche Farbe angenommen.
Seine Arme wirkten im Verhältnis zum Körper sehr lang. Wenn er die an knotige Wurzeln erinnernden Finger ausstreckte, berührten sie fast den Boden.
Die Hütte war nicht verschlossen. Diese Mühe brauchte er sich nicht zu machen. Sein Heim wurde von keinem gefunden. Zudem hatte bisher noch niemand danach gesucht. Die Menschen hatten einfach zu viel Angst davor.
Ein Windstoß fuhr über die Schwelle in die Hütte hinein, erfaßte den langen schwarzen Mantel des untoten Köhlers und bauschte ihn auf wie eine Fahne.
Der Hund hätte die Hütte bereits betreten, hockte auf dem Boden, leckte seine Wunde und jaulte.
»Ja, mein Freund!« flüsterte Abrakim. »Deine Rache wird auch noch kommen, darauf kannst du dich verlassen.« Er rieb seine Hände, und es hörte sich an, als würde Stroh gepreßt. Abrakim drehte sich und trat die Tür wieder zu.
Elektrisches Licht gab es natürlich nicht, dafür eine alte Petroleumfunzel, deren Docht der Zwerg anzündete. Ein warmer Schein geisterte durch die Hütte und ließ die verkommenen Gegenstände irgendwie anheimelnd erscheinen.
Es gab einen Tisch, Stühle, ein Lager aus Fellen, eine gemauerte Feuerstelle, in der Asche lag ein wackliges, aus Baumästen gefertigtes Holzregal. Auf ihm standen einige Schalen und Töpfe, die jedoch nie mehr benutzt worden waren, seit der Köhler sein untotes Leben führte.
Der Eingang zum Stollen war verdeckt. Ein Vorhang, der aussah wie ein grober Sack, verschloß ihn. Der Hund hatte bereits davor Platz genommen. Er schien zu ahnen, was sein unheimlicher Herr jetzt vorhatte. Und das Tier täuschte sich nicht, denn Abrakim wollte ein weiteres Exempel statuieren.
Er nahm die Petroleumfunzel in die rechte Hand und näherte sich dem Vorhang. Mit seinen knotigen Fingern griff er in das rauhe Leinen und zog es zurück.
Düster lag der Stollen vor ihm. Es roch nach feuchter Erde, aber auch nach irgendwelchen scharfen Essenzen, die Abrakim allerdings nicht wahrnahm. Als Untoter besaß er keinerlei menschliche Sinne mehr. Zu seinen Lebzeiten hatte er den Stollen in den Hang und die Erde getrieben. Damit er nicht einbrach, hatte er ihn durch Holzstämme an besonders gefährdeten Stellen abgestützt.
Der Hund schlängelte sich an ihm vorbei und verschwand in der Finsternis, die schön sehr bald vom Licht der Lampe aufgehellt wurde, je mehr sich Abrakim seinem eigentlichen Ziel näherte. Der Weg führte ein wenig bergab. Er war feucht, und der Boden bestand aus lehmiger, rutschiger Erde.
Wo der Stollen endete, war er von Abrakim in mühevoller Kleinarbeit ausgebaut worden. Er hatte hier eine regelrechte Höhle erschaffen, ziemlich groß sogar, und das war sein eigentliches Reich.
Dort standen die Geräte, die er für seine schrecklichen Taten brauchte.
Die alte Wanne hatte er sich vor Jahren von einer Müllkippe geholt. Sie war das Hauptstück und zu Dreiviertel mit einer grünblauen Flüssigkeit gefüllt, die in ihrer Dicke an den käuflichen Sirup erinnerte. Oder an starke Säure.
Und diese Flüssigkeit hatte es in sich. Sie war ein Geschenk des großen Mandragora. In seiner Dimension wurde sie hergestellt, aus gefährlichen Pflanzen, deren Saft für einen Menschen absolut tödlich war. Neben der Wanne lag ein langes Messer, wie es die Fleischer verwenden, wenn sie ihre Tiere halbierten. Auch das hatte Abrakim gestohlen, und es leistete ihm wertvolle Dienste.
Er kicherte hohl, als er die Höhle betrat, an der Wanne vorbeiging und seine Funzel so abstellte, daß sie in den letzten Winkel des unterirdischen Verlieses leuchtete.
Dort lagen die Gefangenen.
Vier Männer.
Arbeiter der Baustelle. Seit Stunden schon schnürten Fesseln ihre Hand- und Fußgelenke zusammen. Es waren keine Stricke, sondern dünner Draht, der es unmöglich machte, daß sich die Leute befreiten.
Vier Männer – vier Opfer.
Sie waren aus Glasgow gekommen und gehörten zum ersten Trupp, der mit den Vorbereitungen zu den Abräumarbeiten beginnen sollte. Sie hatten sich den Wald angesehen und waren in Abrakims geschickt aufgestellte Fallen gelaufen.
Jetzt zitterten sie um ihr Leben, denn der unheimliche Köhler hatte keinen Zweifel daran gelassen, was er mit ihnen vorhatte, denn sie hatten es gewagt, seinen Wald zu betreten und damit zu entehren.
Die Männer lagen nebeneinander. Sie hatten die Schritte längst gehört und sich zur Seite gewälzt, so daß sie Abrakim anschauen konnte.
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