0196 - Die Mörderklaue
schlug sie einen Bogen, näherte sich dem Leuchter und ergriff ihn. Obwohl er sehr schwer war, schaffte sie es, ihn mit einer Hand in die Höhe zu hieven. Sie umklammerte ihn mit der rechten Hand, und die Flammen der Kerzen tanzten über die Dochte, als sich Iris mit dem Leuchter in Bewegung setzte. Schritt für Schritt kam sie auf Elena zu.
Zwei Schwestern standen sich gegenüber. Zwei Frauen, die von gleichem Elternpaar stammten. Eine Druidin hatte sich mit einem Menschen zusammengetan und zwei Mädchen geboren.
Eine gut die andere schlecht.
Lange hatte es gedauert, bis sie aneinandergestoßen waren. Sehr lange.
Zudem mußten sich ihre Eigenschaften erst herauskristallisieren.
Nun war es soweit.
Eine nur konnte gewinnen!
Elena wich zurück. Den Schock der Niederlage hatte sie noch immer nicht überwunden. Wie konnte sie es schaffen, ihre Schwester zu besiegen?
Wie, zum Henker?
Sie ging schneller, denn sie mußte sich etwas einfallen lassen.
Verzweiflung flackerte in ihrem Blick, ihre Gesichtsmuskeln zuckten, sie schluckte hart, und in ihren Knien begann ein Zittern, als wäre sie ein menschliches Wesen.
»Es nützt überhaupt nichts, wenn du fortläufst«, flüsterte die blonde Iris.
»Gar nichts, meine Kleine. Ich werde dich töten, und es gibt hier kein Versteck. Die Stadt gehört nicht nur mir, diese Stadt bin ich selbst. Ich bin die Erbin, ich bin Glora.«
Es waren harte Worte, die Elena zu hören bekam. Aber sie entsprachen den Tatsachen. Und trotzdem wollte Elena nicht aufgeben. Es nutzte auch nichts, wenn sie weiter zurückwich, in die Tiefe dieses unübersehbaren Raumes hinein, sie mußte sich stellen und versuchen, mit eigener Kraft dem Dilemma zu entkommen.
Wie von selbst drang die Beschwörungsformel über ihre Lippen. »Sarini per fornata. Xontare labi verdono!«
Damit rief sie die Geister im Jenseits. Die Herrscher des Lichts, die Götter der Weißen Magie, und sie hoffte, daß einer ihr helfen konnte, der Mächtigste.
Der Seher!
Kaum waren die beschwörenden Worte über ihre Lippen gedrungen, als sie innerhalb des langen Säulengangs nachhallten und ein langes Echo erzeugten. Es schien, als würden irgendwo Lautsprecher stehen, die die Worte des schwarzhaarigen Mädchens noch verstärkten.
Aber es war nur die Kraft der Beschwörung, die so wirkte. Ansonsten zeigte sie kaum Wirkung.
Zwar entstand zwischen den beiden Frauen ein Flirren, und für einen winzigen Moment erschien auch ein altes, aber dennoch jung wirkendes Gesicht mit unsagbar klaren Augen, die in die Ewigkeit zu schauen schienen.
Der Seher!
Nur konnte er nicht eingreifen. Da gab es etwas, das ihn von Elena trennte, eine ungemein starke Druidenmagie, die sich über die Jahrhunderte gehalten hatte und sogar noch erstarkt worden war.
Der Seher schaffte es nicht.
Sein Bild verblaßte und verschwand…
Lachen.
Boshaft, teuflisch drang es aus dem Mund der Druiden-Erbin. »Glora bin ich allein«, sagte sie danach. »Ich ganz allein, und ich werde es auch bleiben. Nie, niemals wirst du es schaffen, mich zu besiegen. Das schwöre ich!«
Und sie ging weiter, wobei sie den Kerzenleuchter noch höher hob, bis sich die Flammen in einer Linie mit ihren Lippen befanden.
Dann blies sie gegen das Feuer.
Zuerst flackerten die Flammen. Es wurde für einen Moment dunkel.
Dann aber wurden sie explosionsartig größer. Schwarze Magie machte aus den kleinen Flammen eine mörderische Waffe.
»Wolltest du mich nicht verbrennen?« kreischte Iris. »Wolltest du mich nicht als Asche sehen?«
»Ja, ja!« schrie Elena.
»Dann wirst du zu Asche. Denn du sollst im Feuer der Druiden krepieren. Im grünen Druidenlicht zerplatzen!«
Sie hatte die Sätze kaum ausgesprochen, als sich die Farbe der armlangen Flammen änderte. Sie nahmen tatsächlich einen anderen Schein an. Einen grünen, fahlen Druidenschein, und er flackerte über die Gesichter der beiden Frauen, ließ sie so bleich aussehen, als hätten sie schon tagelang in einer alten Gruft gelegen.
Iris kippte den Leuchter. Bedächtig tat sie dies, und die Flammen gerieten in eine waagerechte Lage.
Wie Dolche wiesen sie auf Elena.
»Jetzt!« schrie Iris. »Jetzt mußt du daran glauben, du verfluchtes Weibsbild!«
Da sah Elena hinter Iris eine Bewegung. Schattenhaft zuerst, doch im nächsten Augenblick schälten sich zwei Menschen aus der Düsternis.
Ein Mann und eine Frau.
Detlev Menningmann und Sarah Goldwyn. Sie kamen genau vom Regen in die Traufe…
***
Mir schwebte noch immer
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