0197 - Mörder im Chinesenviertel
unauffällig. Ich blieb bei der Garderobe stehen und schäkerte mit dem Mädchen, die uns unsere Hüte wiedergab. Jack verschwand, ohne ein Wort zu sagen, nach draußen. Ich wartete ungefähr drei oder vier Minuten, bis O'Brien herauskam. Kin Kellner hielt ihm die Tür der linken Telefonzelle. Der Apparat darin schlug an. O'Brien ging hinein, zog die Tür hinter sich zu und nahm den Hörer. Der Kellner ging zurück ins Lokal.
Es dauerte keine halbe Minute, da stand ich vor der Telefonzelle, zog die Tür auf und sagte:
»FBI. Sie sind verhaftet, 0‘Brien.«
Er hielt den Hörer ein wenig vom Ohr ab und sah mich offenen Mundes an. Grenzenloses Erstaunen drückte sich in seinem Gesicht aus.
»Machen Sie keine Schwierigkeiten, O'Brien«, warnte ich ihn. »Gegen G-men haben Sie keine Chance.«
Er sagte noch immer nichts. Er nahm den Hörer langsam vom Ohr weg und schien ihn auf die Gabel zurücklegen zu wollen. Aber plötzlich schlug er damit zu. Der Schlag kam so überraschend, daß ich ihn mit voller Wucht gegen den rechten Unterkiefer bekam. Ich hatte das Gefühl, als berste das Kinn in tausend Splitter, während eine glutheiße Schmerzwelle, von grellen Blitzen begleitet, durch mein Gehirn schoß.
Unfähig, für ein paar Sekunden irgend etwas zu erkennen, fühlte ich einen harten Stoß gegen meine Brust und taumelte rückwärts. Eine quarrende Stimme näselte irgendwo etwas Aufgeregtes. Es war Jacks Stimme, die aus dem Telefon drang. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte.
»Um Gottes willen. Sir, was ist denn los?« war das erste, was ich wieder mit wachem Verstand mitbekam.
Das Garderobenmädchen stand neben mir und starrte erschrocken auf meine Wange. Von 0‘Brien war nichts zu sehen. Aber die beiden Glasschwingtüren, die vom Vorraum hinein in das eigentliche Lokal führten, diese beiden Türen schwangen lebhaft hin und her.
Ich schüttelte den Kopf, preßte die Lippen hart aufeinander und iagte los.
Als ich mitten auf der Tanzfläche ankam, sah ich O'Brien wieder. Er sprang gerade die Stufen empor, die hinauf zu der kleinen Bühne führten. Ein Kellner stellte sich mir in den Weg. Zwei Männer, die meilenweit nach süßem Likör dufteten, wollten den Kellner unterstützen.
Ich schob den Kellner mit der linken Hand zur Seite, zeigte mit der rechten Hand auf seine Lackschuhe und rief:
»Seien Sie vorsichtig, die Schlange!«
Das Dümmste hilft manchmal am ehesten. Der Kellner und die beiden Likörbubies rissen die Köpfe herunter und stierten suchend auf den Boden. Bevor sie kapierten, daß in einem Nachtlokal gewöhnlich keine Schlangen frei herumspazieren, war ich längst an ihnen vorbei.
Zur Bühne führte rechts und links eine kleine Treppe hinan, die aus ungefähr zehn oder zwölf Stufen bestand. O'Brien hatte den rechten Aufgang benutzt, ich befand mich dem linken näher und sprang also dort die Stufen hinan. Der Vorhang war zugezogen, und ich hatte eine Weile in dem Stoff zu wühlen, bis ich das linke Ende des Vorhangs erreicht hatte und mich zwischen Wand und schwerem Vorhang hindurch nach hinten drücken konnte.
Es war stockdunkel. Man konnte die Hand nicht vor den Augen sehen. Ich holte mein Feuerzeug hervor und ließ es aufschnappen. Gleich darauf krachte es und sirrte heiß, gefährlich und böse dicht an meinen Händen vorbei. Es klatschte in die Wand, Kalk und Mörtel stiebte auf und ein paar Funken flogen umher.
Ich sprang vorsichtshalber einen Schritt zur Seite, schob mein Feuerzeug zurück in die Hosentasche und peilte die Lage. Es war hoffnungslos. Man hätte das blütenweißeste Taschentuch nicht sehen können, so absolut finster war es.
Der Schuß war aber von oben gekommen. Von irgendwoher aus der schwarzen, undurchdringlichen Finsternis des Schnürbodens. Also mußte O'Brien dort oben sein. Ich tastete mit den Händen an der Wand entlang. Irgendwo mußte es doch einen Aufstieg zum Beleuchtungsstand geben.
Mein Suchen wurde auf eine unerwartete Art entschieden. Plötzlich flammten sämtliche Scheinwerfer auf, die das Lokal auf der Bühne zu bieten hatte. Ich war eine Sekunde geblendet und stieß ein Stoßgebet aus, daß 0‘Brien jetzt nicht schießen möge. Aber er war anscheinend genauso geblendet wie ich selbst, denn es passierte nichts.
Als sich meine Augen langsam an das grelle Bühnenlicht gewöhnten, entdeckte ich O'Brien in einer Höhe von vielleicht zehn Yard über die Beleuchtungsbrücke laufen. Und ganz dicht neben mir führte eine senkrechte Stahlleiter
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