0199 - Hyänen für den Henker
dass unser Tisch innerhalb zehn Minuten von Kindern aller Altersklassen belagert wurde, die mit großem Geschrei ihre Hände ausstreckten. Erst unser Kellner befreite uns von der Plage.
Zum Schluss waren wir satt bis zum Platzen und entsprechend gut gelaunt.
»Der Teufel hole das Syndikat!«, knurrte Phil und ich fügte hinzu: »Wenn jetzt der Boss auftauchte, ich würde ihn tatsächlich zu einem Schnaps einladen.«
»Hoffentlich taucht er nicht auf«, grinste mein Freund. »Ich glaube, du würdest deinen Vorsatz vergessen.«
Nachdem wir dann den obligaten dünnen und bitteren Tee getrunken hatten, gingen wir zu Bier über. Es war zwei Uhr, und ich überlegte gerade, ob es nicht Zeit wäre, nach Hause zu gehen, als eine lustige Gesellschaft hereinkam.
Es waren drei bildhübsche elegante Frauen und drei Herren, von denen ich allerdings nur einen kannte: Mister Becker jun., der seine schlechte Laune vom Vormittag inzwischen eingemottet hatte.
Ich stieß Phil an und der grinste:
»Wenn der Durchschnittsamerikaner einen in der Krone hat, dann zieht er nach China Town oder nach Greenwich Village. Merkwürdig, wie der Schwips die Menschen verwandelt. Auch die Vornehmsten drängen zum Gewöhnlichen, wenn sie genügend geladen haben.«
Die drei Pärchen waren enorm fröhlich. Eingehängt kamen sie den Gang herunter, die Damen im Gesellschaftskleid und die Männer, die sich für Herren hielten, in dunklen Anzügen. Sie merkten gar nicht, dass die umsitzenden Chinesen ihre Witze über sie machten.
Dann stand Mister Becker, an dessen Arm eine wirklich aparte Blondine hing, genau vor uns. Er glotzte uns an, zog die Stirn kraus und lachte.
»Hallo, ich habe immer geglaubt, G-men wären Tag und Nacht auf Verbrecher] agd! Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?«
»Es wird uns ein Vergnügen sein«, sagte ich und wir rückten zusammen, damit die sechs sich an unseren Tisch quetschen konnten.
»Was trinken die Herrschaften?«, fragte Phil in einer Anwandlung von Größenwahn, und wir einigten uns auf doppelte Scotch, wobei auch die drei Mädchen mithielten.
Mister Beckers neue Freundin hatte gefährlich nahe bei mir geparkt und schien nicht übel Lust zu haben, mit mir anzubändeln. Es kostete mich einige Mühe, höflich zu bleiben ünd sie mir vom Hals zu halten.
Beim dritten Whisky - jeder fühlte sich verpflichtet, eine Lage auszugeben - beugte Becker sich plötzlich zu mir herüber. Er hatte schwimmende Augen und eine schwere Zunge.
»Was macht das Syndikat?«, fragte er
»Es lebt, Mister Becker«, lachte ich, und dabei fiel mir ein, dass ich am Morgen davon gar nichts erwähnt hatte.
»Dann trinken wir darauf«, brabbelte er halb betrunken und hob sein Glas. »Es lebe das Syndikat!«
»Es lebe das Syndikat!«, grölte die ganze Tafelrunde, während Phil mir verstohlen auf den Fuß trat.
Im nüchternen Zustand wäre dieser Trinkspruch bestimmt nicht gestiegen.
Mit der Zeit wurde es immer vergnügter, als aber die Stimmung in Besäufnis auszuarten drohte, verständigten wir uns, zu verschwinden. Vorher wollte ich noch mal dahin gehen, wo man eben hingeht, wenn man - na ja…
Unterwegs begegnete ich dem Wirt, Mister Hung. Er machte die üblichen Verbeugungen, und dann fragte er vertraulich:
»Wissen Sie, ob Ihr Freund etwas von Mi gehört hat?«
»Es ist mir nur bekannt, dass er sich vorgestern Abend mit ihr unterhalten hat.«
»Seitdem sie hier wegging, habe ich sie leider nicht mehr gesehen. Sie ist eines meiner besten Girls.«
Ich bedauerte außerordentlich, nichts von dem Verbleib des Mädchens zu wissen, und er musste sich wohl oder übel damit zufrieden geben.
Mister Becker und seine beiden Freunde, die ich nur mit ihren Vornamen, Gus und Pit, kannte, protestierten heftig dagegen, als wir uns verabschiedeten.
Auch die Mädchen waren fast beleidigt, aber wir ließen uns nicht halten.
Es war drei Uhr geworden, später als wir beabsichtigt hatten.
***
Um halb vier kroch ich ins Bett. Bevor ich einschlief, streckte ich dem Telefon die Zunge heraus. Mister Syndikat hatte heute wieder mal umsonst angerufen.
Am Morgen fand sich Neville endlich im Office ein. Er hatte ein blaues Auge, aber im Übrigen schien es ihm gut zu gehen.
»Wo hast du denn das Veilchen her?«, fragte ich ihn.
»Dumme Frage, ich habe mich geprügelt. Ich ging heute Nacht rund um die Delancey Street spazieren, und da wollten drei Kerle wissen, wie stark ich bin. Als ich sie verließ, lagen sie im Rinnstein und schliefen.«
Das war
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