0199 - Phantom der Lüfte
Satz.
Das Geräusch eines ankommenden Wagens unterbrach ihr Geplänkel. Reifen quietschten, dann wurde eine Wagentür zugeknallt, und auf der Holzveranda war das Geräusch hastiger Schritte zu hören. Sekunden später fuhr der Jeep wieder ab.
Bill runzelte die Stirn. »Da scheint es ja jemand mächtig eilig zu haben.«
Zamorra winkte hastig ab. Durch die dünne Holzwand waren Stimmen zu vernehmen. Zu leise, daß man die Worte hätte verstehen können, aber Zamorra konnte deutlich heraushören, daß es sich um zwei Frauen handelte, die offenbar erregt aufeinander einredeten. Er konnte deutlich heraushören, daß eine der Frauen weinte, und einmal glaubte er das Wort Polizei zu verstehen. Dann brachen die Stimmen ab. Eine Tür schlug zu, und Augenblicke später erschien Mrs. Gwendall in der Küche, ein Tablett mit dampfendem Kaffee und einer beschlagenen Colabüchse balancierend. Sie wirkte verstört, als sie die Getränke vor Zamorra auf den Tisch setzte.
»Ist irgend etwas nicht in Ordnung?« fragte Nicole geradeheraus.
Mrs. Gwendall schüttelte den Kopf. »Es ist nichts, Miß. Meine Tochter ist zurückgekommen. Sie hat sich mit ihrem Freund gestritten, das ist alles.«
Sie lächelte flüchtig, wünschte einen guten Appetit und verließ dann mit schnellen Schritten den Raum.
Fünf Sekunden später erschütterte ein gellender Schrei das Haus.
Zamorra und Bill waren fast gleichzeitig bei der Tür.
Mrs. Gwendall stand im Flur. Sie zitterte. Sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen, und der Blick ihrer aufgerissenen Augen war in starrem Entsetzen auf die verkrümmte Leiche gerichtet, die in der halb geöffneten Haustür lag.
***
Die Hütte schmiegte sich so eng an die Felswand, daß jemand, der nicht ganz genau gewußt hätte, wo er suchen mußte, wahrscheinlich daran vorübergelaufen wäre, ohne sie zu entdecken. Dach, Seiten- und Vorderfront wurden von alten, ausgebleichten Holzbohlen gebildet, die Rückwand bestand aus nacktem Fels. Das Haus machte den Eindruck, als ob sich jemand große Mühe gegeben hatte, sich hier ein Versteck zu schaffen.
Natürlich nutzte das nichts. Die, vor denen er sich versteckte, waren nicht auf optische Eindrücke angewiesen.
Borg sprengte die Tür mit einem Fußtritt auf, stürmte durch den Raum und begann mit fliegenden Fingern, Kleider, Geld und andere Kleinigkeiten in den Seesack zu stopfen, der seit Jahrzehnten unter dem Bett bereitgelegen hatte. Er wußte, daß ihm im Grunde nicht einmal dafür Zeit blieb, aber er war nun einmal in einer Welt, in der ein Mensch ohne Geld und Papiere verloren war. Außerdem war es sowieso schon zu spät. Er war nur noch nicht bereit, es zuzugeben.
Sein Blick irrte immer wieder zum Fenster. In dem Flimmérn und Wallen draußen glaubte er Bewegung zu erkennen, umrißlose Körper, die von gespenstischem, tödlichem Leben erfüllt waren. Aber er wußte, daß ihm seine überreizten Nerven nur einen Streich spielten. Die scheinbare Bewegung dort draußen stammte nur von der Hitze. Die Luft kochte über dem Valley.
Er schnürte den Seesack zu, ging zum Kamin und riß mit einer entschlossenen Bewegung das meterlange Schwert von der Wand, das all die Jahrzehnte hindurch als bloßes Schmuckstück dort gehangen hatte.
Es war ein seltsames Gefühl, nach all den Jahren wieder eine Waffe in der Hand zu haben. Irgendwie tat es gut. Der kühle, rauhe Ledergriff vermittelte ihm ein Bewußtsein von Stärke und Macht, das Gefühl, unbesiegbar und unverwundbar zu sein. Aber er wußte nur zu gut, daß das nicht stimmte.
Er fuhr herum, ging zur Tür und warf einen letzten, beinahe wehleidigen Blick in die Hütte zurück.
Die Behausung war alles andere als luxuriös. Viele Menschen hätten sie ärmlich genannt, und selbst Sandy war fast schockiert gewesen, als er sie das erste Mal hierhergebracht hatte. Aber es war sein Zuhause gewesen, all die Jahre lang. Ein winziges Fleckchen, an dem er Ruhe und Frieden gefunden hatte. Oder wenigstens die Illusion davon. Es gab keinen Frieden für Borg. Er war ein verdammter Narr gewesen, sich wirklich einzubilden, noch länger hierbleiben zu können. Es hatte sowieso viel zu lange gedauert.
Beinahe hundert Jahre…
Selbst für einen Unsterblichen eine lange Zeit.
Borg schüttelte die Gedanken mit einem ärgerlichen Schulterzucken ab, drehte sich um und ging auf den Jeep zu. Er mußte noch tanken, aber das würde nur wenige Augenblicke in Anspruch nehmen.
Er warf den Seesack auf die Ladefläche, verstaute sein
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