02 Arthur und der Botschafter der Schatten
einen Satz zurück.
Hinter dem Vorhang stand ein Mann.
Oder besser: ein Männchen von undefinierbarem Alter, das mir vielleicht bis zum Kinn reichen mochte. Schütteres Haar klebte auf seinem aufgedunsenen Schädel. Er trug eine abgeschabte Hose, ein verwaschenes Hemd und darüber eine löchrige rote Strickjacke.
Das war es allerdings nicht, was in mir sofort Abscheu erregte. Es war sein Gesicht. Er hatte fleischige, dicke Lippen, die zu einem hungrigen Lächeln geformt waren. Die Nase war für den Kopf zu klein, der Mund und die Ohren zu groß, und die winzigen Augen lagen tief in ihren Höhlen, sodass ihre Farbe im Zwielicht des Raums nicht zu erkennen war.
Ein paar Sekunden standen wir alle drei unbewegt da. Ich vermutete bereits, dass wir nur eine Puppe vor uns hatten, als der Mann den Bann brach.
» ¡Buenos dias! ¡Buenos dias! «, rief er, schlurfte an uns vorbei zur Eingangstür und drehte den Schlüssel um.
»Jetzt sind wir ungestört, meine Lieben«, strahlte er uns an und schmatzte vernehmlich mit den Lippen. Sein Tonfall war schleimig-freundlich und nicht dazu angetan, mein Vertrauen zu gewinnen.
Ich war zu Larissa getreten und ließ den Gnom nicht aus den Augen.
»Ungestört wobei?«, fragte ich.
»Ihr seid doch hier, weil ihr Fragen habt, auf die ihr Antworten sucht«, erwiderte er und schlurfte auf uns zu. Wir wichen zurück, bis wir von den Regalen hinter uns gebremst wurden.
Das Männchen baute sich vor uns auf und breitete die Arme aus. »Ihr habt doch nicht etwa Angst vor Esteban? Er ist nur ein kleiner Buchhändler, der keiner Fliege etwas zuleide tut.« Seine Stimme hatte einen fast hypnotischen Klang angenommen, und für einen Moment war ich fast so weit, ihm zu glauben. Dann riss mich Larissa aus der beginnenden Trance.
»Woher wollen Sie wissen, was wir suchen?«, fragte sie. »Und wer sind Sie?«
Ich schüttelte den Kopf, um die momentane Benommenheit zu vertreiben. Das Lächeln des Mannes wurde noch breiter als zuvor und ich sah die verfaulten Stumpen in seinem Mund.
»Esteban weiß so manches, was mit den Geheimnissen dieser Stadt zu tun hat«, sagte er. »Und er teilt sein Wissen gerne mit denjenigen, die seiner würdig sind.«
Er legte den Kopf zur Seite und kniff die ohnehin schon kleinen Äuglein noch weiter zusammen. Auf seinen Lippen glänzte Speichel und seine Stimme nahm einen drohenden Unterton an.
»Seid ihr würdig, meine Lieben? Habt ihr Estebans Hilfe verdient?« Er tat einen Schritt auf uns zu. Ich drückte mich noch fester an die Wand und spürte, wie mein Herz schneller klopfte. Der Mann sah nicht besonders kräftig aus. Ich überlegte, ob wir ihn nicht einfach beiseitestoßen und zur Tür laufen sollten, als mich Larissa mit ihrer Antwort überraschte.
»Wenn Sie uns helfen wollen, dann helfen Sie uns«, sagte sie. »Wenn Sie allerdings Theater spielen wollen, dann gehen wir sofort wieder.«
Der Gnom hob beschwichtigend eine Hand und verfiel erneut in einen verführerischen Singsang. »Wahr gesprochen. Esteban sieht, ihr seid in der Tat würdig.«
Er ging zwischen uns hindurch und öffnete eine schmale Tür, die ebenfalls hinter dem Vorhang verborgen gewesen war. »Folgt mir«, forderte er uns auf, als er unser Zögern bemerkte.
Ich warf Larissa einen Blick zu. Wollte sie wirklich da mit reingehen? Sie hatte die Lippen zusammengepresst und nickte nur. Resigniert fügte ich mich in mein Schicksal.
Wir folgten Esteban durch einen engen Flur, der in eine Art Wohnzimmer mündete. Das Zimmer war sparsam eingerichtet. Ein dunkler Holztisch mit kurzen Beinen, um den herum sechs Sitzkissen lagen; ein kleines Buchregal an der einen Wand und eine schmale Anrichte an der anderen. Auf dem Tisch standen auf einer bunten Decke eine schwarze Teekanne mit goldenen Verzierungen und drei henkellose Tassen, die kaum größer waren als Fingerhüte. Hatte er uns etwa erwartet? Zwei flackernde Kerzen in grün angelaufenen Ständern erzeugten mehr Schatten als Licht im Raum. Ein verschmiertes vergittertes Fenster wehrte erfolgreich die Sonnenstrahlen ab.
Der Gnom machte eine einladende Handbewegung. Er ließ sich auf einem der Kissen nieder und schenkte ohne ein Wort eine dampfende, rotbraune Flüssigkeit aus der Kanne in die drei Tassen.
»Setzt euch, setzt euch!«, rief er und schob die gefüllten Tassen in unsere Richtung. Larissa hockte sich ebenfalls hin und verschränkte ihre Beine ineinander. Ich zögerte noch. Das alles gefiel mir nicht. Was hatte der Unbekannte mit
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