02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
kann sie gegen einen algerischen Vater keine Anklage wegen internationaler elterlicher Kindesentführung erheben.)
Aber kein juristisches Schlupfloch kann die phänomenale, unerhörte Leistung der Mütter von Algier schmälern.
Sie haben erreicht, was keine Gruppe und keine Regierung vor ihnen geschafft hat: ein funktionierendes Abkommen über die Frage des elterlichen Sorgerechts zwischen einem christlichen und einem islamischen Staat.
Dank ihres Einsatzes, ihrer Bereitschaft, sich Gefahren an Leib und Seele auszusetzen, und ihrer Fähigkeit, einflußreiche Personen für ihre Ziele zu gewinnen, ist es ihnen wahrhaftig gelungen, Berge zu versetzen.
Drei Jahre nach der Ratifizierung des algerisch-französi-schen Abkommens ist die Zahl der elterlichen Kindesentführungen zwischen beiden Staaten fast auf Null zurückgegangen. Das so überwältigend erfolgreiche Abkommen ist em Modell für künftige Abkommen zwischen islamischen 311
und nichtislamischen Staaten sowie, irgendwann in der Zukunft, für die ganze Welt.
Amar und Farid sind heute junge Männer von 24 und 23 Jahren. Sie werden zeit ihres Lebens von den traumatischen Jahren in Algerien geprägt bleiben; sie sind nüchterner und mißtrauischer, als sie es früher waren.
»Ich habe das Gefühl, daß ich um meine Jugend betrogen worden bin«, sagte mir Farid, als ich seine Familie im Jahre 1990 besuchte.
Ihre Geschichte erzählt von einem Triumph, aber auch von einer Tragödie. Ohne Zweifel hatte Brahim Houache gute Absichten, als er seine Söhne 1980 unter einem Vorwand nach Algerien lockte. Offensichtlich fühlte er sich aus einer ganzen Reihe von Gründen dazu verpflichtet, seine Kinder in das Land zu bringen, das er am besten kannte. Und sicher hoffte er, in seinen Söhnen Achtung für das Erbe ihres Vaters, für seine Kultur und Religion zu wecken.
Aber Brahims Strategie hat das Gegenteil von dem bewirkt, was er beabsichtigt hatte. An allem, was folgte, haftete der Makel des Zwanges, den der Vater angewandt hatte. Seine Söhne verloren jede Achtung vor ihm und jedes Interesse daran, mehr über sein Heimatland zu erfahren. Tatsächlich hatten sie gegenüber ihrer neuen Heimat die gleichen Gefühle wie Gefängnisinsassen gegenüber ihrer Haftanstalt. Unter älteren entführten Kindern ist dies ein weitverbreitetes und besonders trauriges Phänomen. Mit einem Schlag verlieren sie beide Eltern: den Elternteil, den sie zurücklassen müssen, und den anderen, welchen sie von nun an ablehnen.
Doch obwohl Amars und Farids Groll immer noch anhält und der Bruch mit ihrem Vater möglicherweise nie heilen wird, wäre es falsch, sie als unglücklich zu bezeichnen. Sie verbringen soviel Zeit wie möglich mit Marie-Anne, als wollten sie die verlorenen Jahre nachholen. Ich habe nie Söhne gesehen, die ihre Mutter so offenkundig bewundern
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und lieben, noch sind mir Jungen begegnet, die so stolz aufeinander sind und sich so gut verstehen, auch wenn sie, wie alle Brüder, ihre Streitereien haben. Sie sind Menschen, so scheint mir, die einander stets mit Respekt behandeln werden. Sie haben wahrhaftig eine Brücke zwischen den Generationen geschlagen. Die Werte der Mutter werden in den Söhnen fortleben.
Unter allen Schicksalen der Welt, von denen ich gehört habe, hat dieses eine besondere Bedeutung für mich.
Meine Bekanntschaft mit Amar und Farid läßt mich hoffen, daß das Verhältnis meiner eigenen Söhne zueinander und zu mir ebenso dauerhaft sein wird. Denn es gibt nichts Wichtigeres als die Bande der Familie. Wir, die wir sie bedroht gesehen haben, wissen das am besten.
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Die Erfüllung eines Gelöbnisses
Im März 1990 flogen Mahtab und ich nach Tel Aviv, wo unser Film Nicht ohne meine Tochter gedreht wurde.
Das war ein neues und aufregendes Erlebnis für uns.
Wir landeten auf dem Ben-Gurion-Flughafen und begaben uns dann sofort zum Drehort, wo gerade unsere Ankunft in Teheran gefilmt wurde. Wir gingen auf Moodys Filmfamilie zu, und alle standen auf und begrüßten uns. Zuerst meinte ich, unter Halluzinationen zu leiden: Einige der Schauspieler sahen genauso aus wie die Menschen, die ich in Erinnerung hatte. Sofort entschuldigten sie sich für das, was uns im Iran zugestoßen war.
Sheila Rosenthal, die sechsjährige Schauspielerin, die Mahtab spielte, war entzückend. Mahtab und ich mochten sie vom ersten Augenblick an. Zuerst war sie etwas verwirrt, denn sie dachte, wir seien gerade erst aus dem Iran geflohen. Sie sagte, wie glücklich sie sei,
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