02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
dadurch neuen Respekt in der Welt, daß sie die Ketten gegenseitigen Mißtrauens durchbrachen und den Werten einer anderen Kultur Verständnis entgegenbrachten. Niemand konnte sie länger als Bösewichte in die Ecke stellen.
Am meisten aber gewannen die Kinder - alle Kinder, die nun zwei Eltern statt nur eines Elternteils hatten, und alle, die dem Trauma einer Entführung in Zukunft entgehen würden. Und in dieser beeindruckenden Bestätigung ihrer Rechte gegen gewaltige Widerstände durften sich die Kinder der ganzen Welt als Sieger fühlen.
Mit seiner Definition der »gerichtlichen Zuständigkeit« überwand das algerisch-französische Abkommen den juristischen Nationalismus, der heute vielerorts elterliche Kindesentführer schützt. Ein algerischer Vater kann nicht länger davon ausgehen, daß ihn ein algerisches Gericht schützt und bevorzugt, und eine französische Mutter kann nicht auf eine Begünstigung durch ein französisches Gericht hoffen. Gemäß dem Vertrag liegt die gerichtliche Zuständigkeit in Fällen internationaler elterlicher Kindesentführungen in dem Land, wo die Eltern die Ehe geschlossen, zusammengelebt und die Kinder aufgezogen haben, kurz gesagt dort, wo die Heimat der Kinder ist.
In der Praxis hat man in den meisten Fällen, die unter das Abkommen fallen, Kinder, die von ihren Vätern nach Algerien gebracht wurden, wieder zu ihren Müttern nach Frankreich geschickt. Allerdings gibt es auch Beispiele dafür, daß Kinder in Algerien blieben. Das sind vornehmlich solche Fälle, in denen die Länge des Aufenthalts diese Entscheidung angemessen erscheinen ließ.
Ist die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit geklärt, ent-
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scheidet das Gericht, daß die Kinder in ihr Heimatland zurückgebracht werden. Gleichzeitig vergibt es - als notwendige Ergänzung zum Sorgerecht - Besuchsrechte an den nicht sorgeberechtigten Elternteil.
Das Abkommen legt Anwendung und Vollzug in die Hände der Justizministerien der jeweiligen Länder. Die Schiedssprüche der Gerichte werden auf beiden Seiten des Mittelmeers ernst genommen. Staatliche Stellen in Algerien und Frankreich sind befugt, die betreffenden Kinder ausfindig zu machen, dem Richter jede zweckdienliche Information zu beschaffen und Kinder dem mit der elterlichen Sorge betrauten Elternteil im Sinne der Gerichtsentscheidung zuzuführen. Aufschübe sind nicht zulässig. Hat ein Gericht das Sorgerecht zuerkannt, werden die Kinder gewöhnlich innerhalb weniger Monate zurückgeholt.
Das Abkommen sieht auch Sanktionen vor, die notwendig sind, angesichts des anhaltenden Widerstands algerischer Väter besonders in streng moslemischen Hochburgen, etwa in Constantine. Ein sorgeberechtigter Elternteil, der die gesetzlich vorgesehenen Besuche blockiert, setzt sich strafrechtlicher Verfolgung aus. Und wenn nicht sorgeberechtigte Eltern ihre Kinder nicht fristgemäß nach den Besuchen zurückschicken, schreiten die örtlichen Behörden ein und senden die Kinder nach Hause.
Die französischen Mütter haben mit diesem Abkommen einen großen Erfolg erzielt, aber sie haben keinen Blankoscheck erhalten. Um zu verhindern, daß ein Kind ein weiteres Mal aus seiner gewohnten Umgebung gerissen wird (das sogenannte »Pingpong-Syndrom«), muß sich die Mutter gewöhnlich binnen Jahresfrist auf das Abkommen berufen. Wartet sie zu lange, entscheidet das französische Gericht, daß die Zuständigkeit an Algerien übergegangen ist. Wenn die Frau selbst von ihrem Mann unter einem Vorwand nach Algerien gelockt worden ist, muß sie zuerst nach Frankreich
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zurückkehren, sich von ihrem Mann scheiden lassen und sich dann beeilen, damit sie ihre Kinder zurückbekommt. Besucht sie in der Zwischenzeit die Kinder, darf sie nur im Hotel oder an einem anderen neutralen Ort wohnen; nimmt sie das eheliche Leben mit ihrem Mann wieder auf, kann dies die Übertragung der gerichtlichen Zuständigkeit an Algerien bedeuten.
Das algerisch-französische Abkommen ist nicht ohne Schwächen. Um die Ratifizierung durch die algerische Seite zu erreichen, wurden mehrere bedeutende Personengruppen ausgeschlossen: uneheliche Kinder, Eltern, die zwar in Frankreich die Ehe geschlossen haben, aber Bürger anderer Staaten sind, und Mütter, die von Geburt Französinnen sind, aber einen algerischen Vater haben. (Nach algerischem Recht wird die Staatsbürgerschaft durch den Vater bestimmt, eine doppelte Staatsbürgerschaft gibt es nicht. Eine Frau, deren Vater Algerier ist, ist Algerierin. Daher
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