02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
oder sich mit der Familie im Auto von einer Brücke zu stürzen. Er erklärte Marilyn: »Wenn du die Behörden informierst, bringe ich deine Familie um.«
Da ich für das Leben Marilyns und ihrer Kinder fürchtete, mir aber von Richtern und Anwälten nicht mehr viel Verständnis erhoffte, konsultierte ich Regierungsbeamte und ein Frauenhaus. Schließlich ermöglichten wir Marilyn und ihren Kindern die Flucht aus ihrem Heim; sie wurden über mehrere geheime Zwischenstationen in einen weit entfernten Bundesstaat geschmuggelt. Marilyn erhielt eine neue Identität und besuchte eine Universität, was ihr mehr Selbstsicherheit verlieh und sie auf ein unabhängiges Leben mit den Kindern vorbereitete.
Anderthalb Jahre später, als ihr Mann das Besuchsrecht für die Kinder beantragte, sagte sie mir, sie werde lieber ins Gefängnis gehen als den Aufenthaltsort ihrer Kinder preisgeben. Sie machte sich um deren Sicherheit so große Sorgen, daß sie auf dem Weg zu einer Gerichtsverhandlung in Michigan ihren Wagen in Ohio abstellte und in ein anderes Auto umstieg.
An unheilvollen Vorzeichen war kein Mangel. Feridun hatte wenig Freunde und keine Familienangehörigen in den Vereinigten Staaten und war kurz zuvor in den Iran gereist. Alles deutete darauf hin, daß er die Kinder entführen wollte.
Schließlich kam der Tag der Verhandlung über das Sor-
gerecht. Marilyn wurde aufgefordert, ihre Kinder herbeizuschaffen. Andernfalls werde man sie wegen Mißachtung des Gerichts einsperren. Nach mehreren Verhören sprach sich der sachverständige Prozeßbeistand gegen das Besuchsrecht für Feridun aus. Das war ein großer Schritt nach vorn. Ich war zu Marilyns Verhandlung als Sachverständige geladen und glaubte fest, daß dieser Fall nicht so traurig enden würde wie andere.
Schließlich war die Bühne frei für den Entscheidungskampf. Ich wartete im Flur zusammen mit Marilyns Mutter, ihren Schwestern und dem Anwalt auf die Ankunft Marilyns und ihrer Kinder. Auch Feridun wartete hier. Er hatte beide Arme voll mit verspäteten Weihnachtsgeschenken für seine Kinder. Die Tür des Aufzugs öffnete sich, Marilyn und die Kinder traten heraus. Sie ging an uns vorbei geradewegs auf den von ihr getrennt lebenden Ehemann zu. Die beiden baten um ein Zimmer, in dem sie sich ungestört unterhalten könnten, und es wurde offensichtlich, daß sie sich versöhnen wollten. Einige Monate später hörte ich, daß Marilyn immer noch Kontakt mit ihrem Mann pflegte und alle Verbindungen zur Familie gelöst hatte.
Dieser Fall spiegelt einen sehr entmutigenden Aspekt des Symptomenkomplexes mißhandelter Frauen wider: Je gewalttätiger, je heftiger, je grotesker und je lebensgefährlicher der Angriff des Mannes, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Parteien sich wieder versöhnen. Charakteristisch für die mißhandelte Frau ist dabei, daß sie jegliche Hilfe von außen ablehnt, wenn sie zum Täter zurückkehrt.
Nach diesem kläglichen Schauspiel im Gerichtsgebäude fragte mich der Anwalt: »Was werden Sie tun, wenn die nächste Sie um Hilfe bittet?« - »Ich helfe nicht mehr«, gab ich zurück, denn ich fühlte mich verletzt und betrogen. Ich hatte nicht nur beträchtliche Zeit mit Marilyn verbracht, sie 89
hatte auf meine Einladung hin auch bei mir zu Hause übernachtet, wenn man sie zu Gerichtsverhandlungen nach Mi-chigan vorlud. Meine und Mahtabs Sicherheit war gefährdet worden, weil ich Marilyn vertraut und zu helfen versucht hatte. Trotz dieser Enttäuschung wußte ich, daß ich um all der anderen Kinder willen nicht aufgeben durfte.
Im Juni 1990 lernten Arnie und ich in Brüssel die Belgierin Patsy kennen. Ihr Englisch, das sie in Israel gelernt hatte, war ausgezeichnet. Während sie ihre neun Tage alte Tochter in den Armen wiegte, sagte sie traurig:
»Obwohl wir seit acht Jahren getrennt leben, widersetzt sich mein Mann einer Scheidung. Ich lebe jetzt mit einem anderen Mann zusammen, und wir haben uns entschlossen, ein Kind zu bekommen und ein neues Leben zu beginnen. Aber ich kann nicht vergessen, was ich durchgemacht habe.«
Patsy lernte Ben, einen nichtpraktizierenden Juden, in Israel kennen, wohin sie damals gerne reiste. In Brüssel wurden die beiden standesamtlich getraut; Ben hatte einen Priester als Trauzeugen. »Solange wir in Belgien lebten, benahm er sich wie ein Europäer«, erzählte Patsy. Nach der Rückkehr nach Israel mit ihrem Sohn und ihren beiden Töchtern änderte sich Bens Verhalten jedoch schlagartig - ein
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