02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
wurde der Flughafen wegen starker Schneestürme geschlossen und ihr Flug abgesagt. Am selben Tag erhielt sie einen Brief, den Fereshteh aus dem Iran geschmuggelt hatte. Über den Brief hatte ihre vierzehnjährige Tochter geschrieben: 85
»Mommy, bitte lies dies zweimal!! Mom, komm nicht zurück. Mom, Du bist dumm, wenn Du zurückkommst.
Mom, ich werde mit ihm schimpfen wie damals, als er uns gestohlen hat. Kayvan und ich haben viel geschrien.
Ich werde wieder schreien. Jetzt bin ich größer. Ich kann lauter schreien.
Mom, glaube mir, es geht uns hier gut. Wir haben Fleisch, Eier und auch Obst. Du brauchst Dir keine Sorgen um uns zu machen. Mom, heute habe ich Deinen Brief und die Fotos bekommen. Ich mag alle, so wie sie sind. Du bist auch auf dem Bild. An Deinem Gesicht habe ich gesehen, daß Du uns vermißt, aber . . . wenn Du zurückkommst, wirst Du unglücklich sein. Ich schreibe Dir das alles, aber ich weiß nicht, ob Du auf mich hörst.
Aber, Mom, überlege, was Du tust. Okay? Mom, bitte grüße alle von mir. Ich bete, daß dieser Brief Dich bald erreicht.«
Meg war hin- und hergerissen. Ich hoffte, sie würde die durch den Schneesturm verursachte Verzögerung nutzen, ihre Rückkehr in den Iran nochmals zu überdenken. Es tat mir weh, an die beiden Teenager zu denken, die sich so sehr bemühten, den Iran zu verlassen. Ich konnte die Verzweiflung Fereshtehs nachvollziehen, die sich an jeden Strohhalm klammerte, wie ich es im Iran getan hatte. Man darf Kinder einer solchen Belastung nicht aussetzen. Diese beiden Kinder mußten wie Mahtab schnell erwachsen werden.
Megs Schuld- und Verantwortungsgefühle trugen schließlich den Sieg davon. Sie konnte nicht vergessen, wie Kayvan während der Raketenangriffe des Irak auf Teheran den Bunker im Postgebäude verlassen hatte, um Brot zu holen, das einzige Nahrungsmittel der Familie - und sein Leben für ihres riskiert hatte. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, ihn und seine Schwester in Teheran zurückzulassen, ohne zu wissen, welches Schicksal ihnen bevorstand.
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Am Tag von Megs Rückflug in den Iran erzählte sie mir, Khayvan habe sich nach seiner Entführung so ungebärdig aufgeführt, daß er in den Keller gesperrt worden sei. Als sie dann nach Teheran gekommen sei, habe er stolz zu ihr gesagt: »Mommy, du darfst bei uns leben, weil ich unartig war.« Meg fuhr fort: »Ich habe Ihr Buch auswendig gelernt. Es gibt mir Hoffnung. Ich gehe, mir bleibt keine Wahl. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.«
Nach Megs Abreise erhielt ich einen Brief von ihr, der ihre Gefühle deutlicher zum Ausdruck brachte: »Ich kann es nicht erklären, aber ich habe Angst davor, die Kinder voneinander zu trennen. Irgend jemand wird immer verletzt oder zurückgelassen. Die Familie und meine alten Freunde können das nicht verstehen, nur jemand, der schon einmal dort gewesen ist. Fereshteh versucht, die erwachsene Frau in der Familie zu sein. Sie versucht, meinen Traum zu leben. Ich weiß nicht, wann das Kind erwachsen und die Erwachsene zum Kind wurde. Aber ich werde mich bemühen, die Kinder zusammenzuhalten und ihnen einen Traum zu geben.« Seitdem habe ich nichts mehr von Meg gehört.
Meine Erfahrung mit solchen frustrierenden Fällen lehrte mich, daß man eine Möglichkeit nie ausschließen kann: die der Versöhnung. Sie ist jedoch oft nur eine Folge davon, daß die Frau von ihrem Mißhandler abhängig ist. Der Druck, die Familie wieder zu vereinigen, kann von allen Seiten kommen - nicht zuletzt von den Familien der Eltern. Oft ist die Hoffnung auf Versöhnung das einzige, was verlassene Eltern mit ihren Kindern verbindet.
Diese Hoffnung bewegt sie, mit dem Entführer in Kontakt zu bleiben.
Der Gedanke der Versöhnung ist zwar an sich nicht zu verurteilen, aber häufig unrealistisch. Schließlich gibt es einen Grund dafür, daß die Beziehung zerbrochen ist. Nur wenn die Versöhnung tatsächlich alle Differenzen beseitigt, stellt sie eine wirkliche Lösung dar.
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Im Jahre 1988 wandte sich die Schwester von Marilyn an mich. Marilyn war eine Frau aus der Gegend von Detroit, die einen Iraner namens Feridun geheiratet hatte. Sie wurde damals von ihrem Mann in ihrem eigenen Haus buchstäblich als Gefangene gehalten. Er zeichnete ihre Telefongespräche auf und verbot ihr den Umgang mit ihren Verwandten. Marilyn zufolge hatte er einen Kanister Benzin im Haus versteckt und drohte wechselweise damit, entweder sie und ihre vier Kinder bei lebendigem Leibe zu verbrennen
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