02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Fahrt zum Flughafen garantieren könnten, wenn Christy mit ihnen ausreisen wolle. An diesem Tag war ihr Ärger vergessen. Sie war dankbar, als ein Botschaftsangehöriger namens Mike Gayle sie in das imposante moderne Gebäude geleitete und den Verwandten, die sie begleitet hatten, erklärte, man werde ihr von der Botschaft aus eine Unterkunft für die Nacht besorgen. Noch dankbarer war sie, als er ihr einen Botschaftswagen mit verdunkelten Fenstern zur Verfügung stellte, um sie am nächsten Tag zum Flughafen zu bringen, und bei ihr blieb, bis sie das Flugzeug bestieg.
Vor ihrer Abreise führte sie noch zwei wichtige Telefongespräche. Zuerst rief sie die Kriminalbeamten in Berrien County an, die ihr versicherten, ihr Vater sei zu keiner Zeit mit dem Mord an Riaz in Verbindung gebracht worden; die Familie hatte diese Geschichte einfach erfunden. Anschließend rief sie eine Cousine in Peshawar an, von der sie erfuhr, daß John nicht mehr essen wollte. »Er weint ständig und schreit, er möchte zu dir«, sagte sie. Christy verging fast vor Kummer.
»Ich komme zurück, sobald ich kann«, sagte Christy. Das stimmte zwar, dachte sie niedergeschlagen, aber angesichts dieser endlosen Tortur war nicht abzusehen, wie bald das sein würde.
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Von all den Zeiten der Trennung, die Christy und ihre Kinder schon erlebt hatten, waren die folgenden sechs Monate die deprimierendsten. Früher hatte sie John und Adam regelmäßig von Michigan aus anrufen können.
Jetzt, da Riaz' Familie sie als Feindin betrachtete, wurde jeder telefonische Kontakt unterbunden, bis sich im November 1990, drei Monate nach Christys Abreise, endlich das Konsulat einschaltete.
Als John ans Telefon kam, erkannte sie nicht einmal seine Stimme. Zuerst dachte sie, er sei ein fremdes Kind und die Familie spiele ihr einen Streich. Johns pakistanischer Akzent, der ihr bei ihrer Abreise nicht aufgefallen war, war jetzt deutlich zu hören, und seine Stimme schien ungewöhnlich hoch. »Mommy, ich bin glücklich, und ich weine nicht«, sagte John.
Dann war im Hintergrund die Stimme einer Frau zu hören, einer von Riaz' Tanten: »Sag Mommy, daß du zur Schule gehst.«
»Mommy, ich weine nicht, und ich gehe zur Schule.«
Christy hörte den tiefen Kummer aus der Stimme ihres Kindes heraus. »Egal, was man dir erzählt«, sagte sie,
»du hast eine Mommy, die dich sehr lieb hat.«
John brach in Tränen aus, und jetzt klang seine Stimme auf schmerzliche Weise vertraut. »Mommy, ich brauche dich, ich brauche dich!« rief er. »Komm und hol mich!«
Die Tante unterbrach ihn: »Du kannst nicht mit den Kindern sprechen, du bringst sie bloß durcheinander.« Der Hörer wurde aufgelegt. Adam hatte keine Gelegenheit mehr, seine Mutter zu begrüßen.
Ich fühlte in dieser Zeit mit Christy. Eine erzwungene Trennung ist die schmerzlichste Erfahrung, die Eltern machen können. Ich hatte Moody vor allem deshalb in den Iran begleitet, weil ich fürchtete, er könnte Mahtab sonst entführen. Als er mir unsere Tochter dann in Teheran tat-143
sächlich wegnahm und wir zwei Wochen getrennt waren versank ich in Hilflosigkeit und Verzweiflung, und für zwei Wochen verlor ich meine Identität. Aus Angst vor einer dauernden Trennung wagten wir schließlich die riskante Flucht.
Der dringende Wunsch, die Kinder heimzuholen, ließ Christy keine Ruhe. Da machte ihr pakistanischer Anwalt, ein ernster junger Mann namens Nasir Ul-Mulk, sie darauf aufmerksam, daß ein Streit um das Sorgerecht zwei Jahre oder länger dauern könne. Aber am Ende, erklärte Nasir, werde Christy mit Sicherheit gewinnen. Die Lehre des Propheten Mohammed besage eindeutig, Kinder unter sieben Jahren bedürften der Fürsorge der Mutter, ungeachtet der Religionszugehörigkeit der Frau. Und die Tatsache, daß Christy kraft des bei der Heirat angenommenen islamischen Namens eigentlich Moslem sei, würde ihre Position stärken.
Christy hatte wenig Vertrauen zur pakistanischen Justiz. Es gab keinen Präzedenzfall für das, was sie plante: von einem islamischen Gericht ihre Kinder zurückzubekommen, die sich noch in der Obhut einer moslemischen Familie befanden. Ich habe kürzlich von einem ähnlichen Fall gehört: Einer amerikanischen Mutter wurde in Ägypten das Sorgerecht übertragen - allerdings nur unter der Bedingung, daß sie im Land blieb.
Christy war keineswegs überzeugt, daß ihr Anwalt in der Lage oder bereit sein würde, gegen den Einfluß der Khans in Peshawar anzugehen, und daß er das Gericht dazu
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