02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
einmarschierten.
In der dienstfreien Zeit gab es für den neunzehnjährigen Soldaten, der bereits alle Kirchen und Sehenswürdigkeiten besichtigt hatte, in Fulda wenig Abwechslung, es sei denn, er besuchte die verschiedenen Clubs der Stadt. Für einen symbolischen Mitgliedsbeitrag konnte ein einsamer Soldat dort mit seinen Kameraden etwas trinken, zehn Jahre alte Rocksongs hören und deutsche Mädchen kennenlernen. Die meisten Freundschaften waren nur von kurzer Dauer, einige führten aber auch zur Heirat. Die Frauen folgten ihren Männern dann, wenn diese an einen anderen Ort abkommandiert wurden, und letztlich reisten sie mit ihnen in die Staaten.
Craig war gerade sechs Monate beim Militär, als er in einem schummrigen Club für Singles, dem »Overpass«, Vera Hoff mann kennenlernte. Sie hob sich von den anderen Frauen ab - eine auffallende Brünette mit einem besonderen Talent für amerikanischen Slang und einer Schwäche für Soldaten, die diesen Slang benutzten. Craig forderte sie zum Tanzen auf, und sie bewegte sich zu amerikanischer Musik, als sei sie in Amerika geboren. Er spendierte ihr ein paar Drinks und zappelte im Netz. »Sie schien mir damals die Richtige.«
Ich sprach mit Craig im holzgetäfelten Eßbereich seines Wohnzimmers, einem Raum voller Nippes und Familienfo'
tos. Craig war ein schlanker junger Mann mit dunkelbraunem Haar, das seit Beendigung der Militärzeit im Nacken wieder nachgewachsen war. Seine haselnußbraunen Augen funkelten schelmisch, und er grinste breit, aber er hatte auch etwas Sanftes an sich.
Craig und die Armee paßten nicht zueinander. Als seine Militärzeit 1983 zu Ende war, erklärte er Vera, er werde zurückkommen. »Das sagen alle«, meinte er, »und niemand glaubt ihnen, weil keiner je zurückkommt.« Craig war eine Ausnahme. Er arbeitete zwei Monate, bis er das Geld für ein Flugticket nach Frankfurt zusammenhatte.
Dann machten die beiden Verliebten da weiter, wo sie aufgehört hatten. Im darauffolgenden Jahr trampten sie die meiste Zeit ziellos durch Europa, wie es Vera gefiel. »Laß uns heute nach Spanien fahren«, sagte sie, und sie fuhren nach Spanien.
Eines Morgens weckte Vera ihn mit einem Schlag auf die Wange in aller Frühe auf - eine ihrer weniger liebenswerten Eigenschaften.
»Was willst du denn?« stöhnte er.
»Laß uns heiraten«, sagte sie.
»Bist du verrückt?«
»Nein, ich meine es ernst.«
Craig dachte einen Augenblick über den Vorschlag nach. »Und dann kehren wir zurück in die Staaten«, sagte er.
Er hatte das Vagabundenleben satt und wurde von Heimweh geplagt.
»Klar«, sagte Vera. Sie träumte schon lange davon, in die USA zu ziehen - in das Land des Überflusses.
Per Anhalter fuhren sie nach Dänemark und ließen sich dort trauen. Die Hochzeitsnacht verbrachten sie in einer verlassenen Windmühle.
Nach ihrer Rückkehr nach Westdeutschland tauchte ein Problem auf: Vera brachte es nicht über das Herz, die Heimat zu verlassen und sich von ihren Freunden und ihrem
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Vater, einem verwitweten Kranführer, zu trennen. Sie zögerte immer wieder. Endlich, fast auf den Tag genau ein Jahr nach Craigs Rückkehr - sein Rückflugticket war nur noch wenige Tage gültig -, wagte sie den Sprung nach Amerika.
Die beiden ließen sich in Muskegon nieder, einer Stadt am Michigan-See von der Größe Fuldas, und dort nahm ihre Ehe bald einen schlimmen Verlauf. Vera versuchte, in die traditionelle Hausfrauenrolle zu schlüpfen. Sie gab Craig, der bei einer Kegelbahn arbeitete, sogar jeden Morgen ein Lunchpaket mit. »Sie bemühte sich tapfer, ein ganz normaler Mensch zu werden«, meinte Craig ironisch. Aber Vera konnte den Kneipen von Muskegon und dem Drang nach Freiheit nicht widerstehen. Wenn der fleißige Craig sich nicht mit ihr amüsieren konnte, würde sie sich anderweitig umsehen.
»Vera paßte sich dem Leben in den USA wirklich gut an«, sagte Craig. »Schwupp« - er schnippte mit den Fingern -, »schon war sie Amerikanerin.« Sie sprach bald akzentfrei, und neue Bekannte hielten sie für eine Einheimische. Sie dachte daran, amerikanische Staatsbürgerin zu werden, verfolgte den Gedanken aber nicht weiter. »Ich bin Deutsche und werde immer Deutsche sein«, erklärte sie.
Trotz der ständigen Schwankungen in ihrer Ehe wurde Vera Ende 1984 mit ihrer ersten Tochter schwanger.
Craig war begeistert und hoffte, das Baby werde sie einander näherbringen, doch seine Frau fühlte sich wie eine Gefangene. Vera selbst war von einer Reihe von
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