02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Wochenende zu besuchen? Craig ging nur widerwillig auf den Vorschlag ein; er spürte, daß etwas nicht stimmte. Er fuhr zum Haus und sah, daß sich im Inneren etwas bewegte; immerhin waren sie zu Hause. Als es dunkel wurde, ging im Schlafzimmer seiner Töchter das Licht an. Craig glaubte, daß Vera sie gerade ins Bett bringe und soweit alles in Ordnung sei.
An den nächsten zwei Tagen ging niemand ans Telefon. An* Samstag, dem 31. Dezember, fuhr Craigs Mutter an dem Haus vorbei, und anschließend rief sie ihn aufgeregt an- Es hatte geschneit, aber um das Haus herum waren 199
keine Fußspuren oder Reifenabdrücke zu sehen. »Schau besser mal nach«, riet seine Mutter.
Wenige Minuten später stand Craig an der Hintertür. Innerhalb von Sekunden hatte er sie aufgestemmt. Ganz offensichtlich wohnte hier niemand mehr. Wo sich einmal die Flügel des Ventilators gedreht hatten, hingen nur noch Drähte von der Decke. Die Küchengeräte, die Stereoanlage, die Eßecke, die Craig kurz zuvor gekauft hatte
- alles war fort. Die paar Möbel, die noch da waren, hatten tiefe schwarze Brandlöcher von Zigaretten. Was Vera nicht mitgenommen oder verkauft hatte, war ruiniert.
Auf dem Boden im Schlafzimmer, inmitten von Papier und verschiedenen Medikamenten, fand Craig einen Zettel von Vera, auf dem sie ihm mitteilte, er könne sie »vielleicht eines Tages« besuchen, wenn er genug Geld habe. Craig begriff die furchtbare Wahrheit: Seine Töchter waren über den großen Teich nach Deutschland unterwegs oder vielleicht schon dort.
Er fragte bei einem älteren Nachbarn nach, von dem er wußte, daß er alles mitbekam, was im Block vor sich ging. Nach Auskunft des Nachbarn hatten Vera und ihr Freund einige Tage zuvor mehrere größere Gegenstände auf einen Lieferwagen geladen. Und an diesem Donnerstag hatten sie die restliche Habe auf dem Dach eines Mietwagens verstaut.
In den folgenden Tagen klammerte sich Craig an eine schwache Hoffnung - daß Vera und ihr Freund sich vorübergehend in der Nähe von Muskegon versteckten und erst dann in die Bundesrepublik fliegen würden, wenn die Gefahr vorbei war. Craig nahm Urlaub und machte sich auf die Suche nach seinen Kindern. Er schlief kaum noch und überwachte fast rund um die Uhr sein früheres Heim und weitere Adressen, die Vera und ihr Freund häufig aufgesucht hatten. »Ich fuhr einfach von Haus zu Haus, Stunden am Tag.«
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Als Veras Telefonrechnung mit der Post kam, öffnete er sie weil er hoffte, über ihre Telefonate Hinweise auf ihren Aufenthaltsort zu finden. Man könne Vera einiges nachsagen, meinte Craig später, aber dumm sei sie nicht. Sie hatte versucht, ihre Spur zu verwischen, indem sie Ferngespräche mit Hunderten von Adressen führte, vom Einkaufsservice des Fernsehens bis zu Partnervermittlungen. Craig strich zuerst alle 900er-Nummern durch und danach die, an deren Zahlenstruktur er erkannte, daß es sich um Münzfernsprecher handelte. Bei den restlichen Nummern achtete er auf Wiederholungen. Er stellte fest, daß eine Nummer in Colorado Springs vierzehnmal angerufen worden war.
Ein Privatdetektiv fand heraus, daß die Nummer einem gewissen Cecil Blackburn gehörte, einem GI, den Vera in Fulda kennengelernt hatte. Ein Kontaktmann bei einer Autoverleihfirma bestätigte, daß die Flüchtigen ihren Mietwagen in Colorado Springs abgegeben hatten. »Jetzt wußte ich, daß sie nicht mehr mit dem Auto unterwegs waren und ein Flugzeug nehmen wollten«, sagte Craig. Am 2. Januar rief er beim Flughafen von Colorado Springs an und erhielt die niederschmetternde Nachricht, daß Vera, ihr Freund, Stephanie und Samantha am Tag zuvor in die Bundesrepublik abgeflogen waren.
Craig vermutete, daß sie Veras alte Freunde und Stammlokale in Fulda besuchten. Sein Verdacht bestätigte sich, als er erfuhr, daß ein Brief an die Mutter des Freundes einen Fuldaer Absender hatte. Es sei freilich zwecklos, den Aufenthaltsort der Kinder genau zu bestimmen, erfuhr Craig vom amerikanischen Außenministerium. Die Bundesrepublik Deutschland gehöre nicht zu den Unterzeichnerstaaten des Haager Abkommens von 1980, einer internationalen Vereinbarung zur Beschleunigung der Rückkehr entführter Kinder in ihre Heimatländer. (Das wiedervereinigte Deutschland unterzeichnete das Abkommen im Dezember 201
1990.) Craig bleibe nur die Möglichkeit, »hinzufliegen, sich einen deutschen Anwalt zu nehmen, in Deutschland die Untauglichkeit der Mutter zu beweisen und darauf zu hoffen den Prozeß in zwei bis
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