02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
fuhr herum und wollte auf die Person losschlagen, denn ich war völlig mit den Nerven fertig. Schließlich hatte ich nicht all die Strapazen auf mich genommen, um jetzt zurückgeschickt oder verhaftet zu werden.«
Aber die Schritte, die Craig gehört hatte, waren die seiner Freundin, die ihm um den Hals fiel, ehe er irgendwelchen Schaden anrichten konnte. Stephanie rannte zu Craigs Mutter und umklammerte sie, Samantha marschierte auf wackligen Beinen geradewegs zu ihrem Großvater. Unter Tränen und Umarmungen wurden die beiden erschöpften Helden mit Geschenken für die Heimfahrt im Lieferwagen überschüttet: zwei Stangen Camel-Zigaretten, zwei Sechserpak-kungen amerikanisches Bier und, als Höhepunkt, zwei speziell angefertigte T-Shirts. Craigs T-Shirt trug vorn die Aufschrift »Superdad«, und auf der Rückseite standen die Namen seiner Töchter. Die Aufschrift auf Frank Corbins T-Shirt lautete: »Der beste Freund, den ein Mann sich wünschen kann.«
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In Muskegon mußten zunächst einmal die Wunden heilen und vor allem mußte den Mädchen die Angst vor ihrem früheren und künftigen Zuhause genommen werden, wo sie so viel Schreckliches erlebt hatten. Jeden Morgen brachte Craig Stephanie und Samantha zu dem Haus, das er in so chaotischem Zustand zurückbekommen hatte. Während die Kinder spielten, arbeitete ihr Vater an der Installation und an den Wänden.
Craigs Mutter und seine Freundin hatten bereits die Schlafzimmer der Mädchen tapeziert, mit neuen Teppichen ausgelegt und Rüschenvorhänge aufgehängt, als wollten sie die Vergangenheit auslöschen.
Craig setzte an der Vorder- und Rückseite des Hauses neue Fenster und Türen ein, komplett mit Einriegelschlössern und stählernen Rahmen für die Türpfosten. Dabei bat er seine Töchter, ihre Spielsachen hinzulegen und ihm zu helfen. »Sie sollten mir Hammer und Nägel reichen, und ich sagte: >Paßt gut auf.< Ich schlug die Nägel ein und sagte: >Seht, diese Stahltür kann niemand eintreten. Niemand kann hier herein, um euch zu holen.<«
Trotz Craigs Bemühungen heilten die alten Wunden nur schwer. Kaum wohnten sie wieder im alten Haus, da wachte Stephanie nachts schreiend auf, weil sie von Veras früherem Freund geträumt hatte. »Dieser blöde David will mich holen! Er bricht die Tür auf! Er zertrümmert die Fensterscheiben, er will mich holen, er will mir weh tun!« Craig rannte die Treppe hinauf, knipste das Licht an und beruhigte sie. Wenn der Traum besonders schlimm gewesen war, trug er sie auf dem Arm die Treppe hinunter und zeigte ihr, daß die Türen verschlossen waren. Sie sei hier absolut sicher.
In den ersten Monaten ließen die Töchter Craig nur ungern aus den Augen. Sie klammerten sich förmlich an ihn.
Wenn er ins Bad ging, um zu duschen, setzten sie sich draußen vor die Tür und redeten mit ihm. »Bist du noch da?« -»Ja, ich bin noch da.« Fremden, vor allem Männern gegen-222
über waren die Mädchen zurückhaltend. Schon ganz kleine, alltägliche Zwischenfälle brachten sie aus dem Gleichgewicht, und Craig gab sich Mühe, daß »alles reibungslos funktionierte, ohne große Hetze und ohne Aufregung«. Sie erschraken furchtbar, wenn Menschen schrien, weil sie das als Auftakt zu Gewalttätigkeiten betrachteten, und Craig schärfte seinen Freunden ein: »In diesem Haus sind keine lauten Auseinandersetzungen erlaubt.«
Aber auch solche Wunden heilen bei kleinen Kindern schließlich, wie es sich in den folgenden zwei Jahren bei Stephanie und Samantha zeigte. Heute sind sie gesellige, wohlerzogene Kinder, die sich gut eingelebt haben, so gut sogar, daß ein Mitarbeiter der Jugendfürsorge Craig erklärte, sie benötigten zumindest im Moment keine Therapie.
Trotzdem wird ihre Kindheit wohl nie ganz normal sein. Craig weiß, daß ihre Sicherheit von seiner ständigen Wachsamkeit abhängt - so wie ich in bezug auf Mahtab immer wachsam sein muß. Der Rektor von Stephanies Schule hat sich bereit erklärt, Fenster und Türen geschlossen zu halten. Am Ende des Schultages wartet Stephanie mit ihrer Lehrerin im Klassenzimmer, bis sie entweder von Craig, seiner Mutter oder seiner Schwägerin abgeholt wird. Sollte Vera eines Tages in der Schule auftauchen, würden die Lehrer, die Fotos und detaillierte Beschreibungen von ihr haben, umgehend die Polizei verständigen. Obwohl die Schule nur wenige Häuserblocks entfernt ist, geht Craigs Erstkläßlerin nie mit ihren Schulkameradinnen nach Hause und nie ohne Begleitung nach draußen.
Zu Hause
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