02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
genommen worden. Es war, sagte er später, »wie alle Fahrten mit der Achterbahn, die man jemals gemacht hat, wie alle Fahrten zusammen«.
»Fahren wir jetzt nach Hause, Daddy?« fragte Stephanie.
Craig hatte seine Antwort unzählige Male in Gedanken wiederholt. »Ja, Liebling«, sagte er, »eure Ferien sind zu Ende. Es wird Zeit, nach Hause zu fahren.«
Sie handelten rasch. Obwohl Vera nicht vor dem frühen Morgen zurückerwartet wurde, wollte Craig das Glück nicht herausfordern. Frank wies beide Mädchen an, ein Lieblingsspielzeug mitzunehmen. Samantha wählte einen Stoffhasen mit einer roten Weste aus, den Vera ihr vor kurzem geschenkt hatte, als sie an einer Lungenentzündung litt. Stephanie nahm ihre Schmusedecke mit, die grüne Babydecke, die Craigs Mutter ihr gestrickt hatte, als sie noch ganz klein war. Craig packte außerdem einen großen Teddybären ein als Kopfkissen für die bevorstehende Fahrt.
Um Vera zu täuschen, ließ Frank seine Windjacke, die letzte Packung mit amerikanischen Zigaretten und sein Feuerzeug in der Wohnung und schrieb ihr einen Zettel: »Ich bin mit den Mädchen zu meinem Freund Bob Servo gefahren. Wenn sie müde werden, bleiben wir über Nacht dort, und ich bringe sie morgen früh wieder nach Hause.« Frank packte noch zwei Wegwerfwindeln ein - genug für Samant-has dringendste Bedürfnisse, aber nicht so viele, daß sich Vera wundern würde. Dann nahmen sie die Mädchen auf den Arm und brachten sie zum Auto hinunter. Craig kletterte auf den Rücksitz, um mit seinen Töchtern zu spielen, Frank setzte sich ans Steuer. Um 21 Uhr fuhren sie los: Vor ihnen lagen die Niederlande oder die Festnahme. Als sie die Autobahn erreichten, schaltete Frank in den fünften Gang und trat das Gaspedal ganz durch. Er holte alles aus den vier Zylindern heraus.
Die beiden Männer hatten die Fahrt bis in alle Einzelheiten geplant. Sie wollten versuchen, die Mädchen bis etwa 160 Kilometer vor der Grenze wach zu halten und sie dann einschlafen zu lassen. Unmittelbar vor dem Grenzübergang sollten Craig und die Kinder in den bereits mit Schaumgummi und Decken ausgekleideten geräumigen Kofferraum des Peugeot steigen. Mit etwas Glück würden die Mädchen durchschlafen, bis sie in den Niederlanden waren. Sicherheitshalber sollte Frank kurz aufs Bremspedal treten, wenn ein Grenzbeamter auftauchte; Craig wäre dann gewarnt, denn er wurde das Aufleuchten der Bremslichter im Kofferraum bemerken, und wenn die Kinder aufwachten, konnte er ihnen notfalls den Mund zuhalten.
Sie hatten auch einen Ausweichplan parat. Wenn etwas schiefging und sie angehalten wurden, wollte Craig den am nächsten stehenden Grenzbeamten niederschlagen und dann noch möglichst viele andere außer Gefecht setzen, während Frank mit den Mädchen im Auto flüchtete. Frank sollte zum amerikanischen Konsulat in Amsterdam fahren und dort warten, bis Craigs Eltern mit ihren Anwälten erschienen. Die Hauptsache sei, betonte Craig, daß die Kinder um keinen Preis wieder zu Vera zurückkehren dürften.
Sie kamen zügig und zumindest in den ersten drei Stunden ohne Zwischenfälle voran. Craig war in
»Panikstimmung - ängstlich, aufgeregt und erleichtert zugleich«. Um sich die Zeit zu vertreiben, sang er mit seinen Töchtern Kinderlieder. Er gab beiden einen Lutscher, weil er hoffte, der 215
Zucker werde sie länger wach halten. Die Mädchen waren zwar müde, aber in bester Stimmung; sie freuten sich schon auf das Wiedersehen mit Craigs Eltern und einer Cousine mit der sie in Muskegon gespielt hatten. Die knapp zweijährige Samantha lernte gerade sprechen und plapperte auf deutsch vor sich hin. Die vierjährige Stephanie hatte ihr Englisch noch nicht vergessen. Einmal sah sie ihren Vater an und meinte: »Ich wußte, du würdest kommen und mich holen.« Craig, bemüht, sie vom Weinen abzuhalten, antwortete: »Na, ich konnte euch doch nicht im Stich lassen.«
Nach einer kurzen Pause auf einem Rastplatz, wo Craig Samanthas Windeln wechselte, schliefen die Mädchen ein, und Craig setzte sich nach vorn neben Frank. Die Nacht war kalt, und die Männer deckten die schlafenden Kinder mit ihren Jacken und ihren Flanellhemden zu; sie selbst hatten nur noch ihre verschmutzten T-Shirts an.
Craig wußte, daß sie noch eine knappe halbe Stunde von der Grenze entfernt waren. Sobald die Mädchen ihn nicht mehr ablenkten, wurde er immer nervöser. Würden sie es schaffen? Was würde passieren, wenn sie in Holland waren? Sie fuhren weiter durch eine
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