02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Damit hatten wir neue freiwillige Helfer gefunden.
Im August des Jahres 1991 versammelten wir uns erneut. Mrs. Riegle und die Organisation »One World: For Chil-dren«, die ich als Reaktion auf das Problem der internationalen elterlichen Kindesentführung mitbegründet hatte, riefen zu Spenden für Christy Khan auf. Christy hatte sich in große Unkosten gestürzt, um ihre Kinder Anfang des Jahres zurückholen zu können. Da ich ihren Fall aus nächster Nähe verfolgt hatte, war es eine große Genugtuung für mich, Mutter und Kinder wieder vereint zu sehen.
In meinem kurzen Vortrag mußte ich darauf hinweisen, daß ihr Fall leider untypisch war. »Christy und ich gehören zu den Glücklichen: Wir haben unsere Kinder wieder. Aber in den meisten Fällen gibt es kein Happy-End.«
Leider kommt es in der großen Mehrheit der Fälle nicht zu einer Wiedervereinigung. Einige Eltern kennen nicht einmal den Aufenthaltsort ihrer Kinder oder werden daran gehindert, in das Land des Entführers zu reisen.
Andere werden von der Justiz des Landes aufgrund nationaler oder religiöser Differenzen abgewiesen. Nur wenige erhalten das Sorgerecht, dürfen das Land dann jedoch nicht verlassen; sie bezahlen ihre Elternschaft mit der Freiheit.
Während meiner kurzen Ansprache fiel mein Blick auf eine andere betroffene Mutter, auf Mariann Saieed. Ich erzählte dem Publikum, Mariann sei eine Woche zuvor aus dem Irak zurückgekehrt. Ihre beiden Kinder habe sie beim Vater lassen müssen, von dem sie entführt worden seien. »Ihr Mann versprach ihr, sie dürfe ihren Sohn mitnehmen«, fuhr ich fort, »also packte sie seine Koffer. Doch dann überlegte ihr Mann es sich anders und sagte nein.«
Mariann zeigte an jenem Abend großen Mut. Sie saß inmitten der Gratulanten und mußte Christys Söhnen beim Spielen zusehen, während ihre eigenen Kinder für sie uner-230
reichbar waren. Ihre Geschichte hat es verdient, erzählt zu werden.
Für Mariann Saieed war die Antiquitätenausstellung in Ohio eine einzige Enttäuschung. Das Geschäft mit ihrer Sammlung von Spielsachen, Puppen und Büchern aus der Zeit vor 1970 ging normalerweise gut. »Kaufen Sie sich Ihre Kindheit zurück«, lautete ihr erfolgreiches Motto. Aber an diesem warmen Samstag im Juni 1990 fand sie kaum Käufer. Gegen 19 Uhr wurde sie unruhig. Sie rief in ihrer Wohnung in einem Vorort von Detroit an, wo sie ihren Ehemann Khalid mit ihrem achtjährigen Sohn und ihrer vierjährigen Tochter zurückgelassen hatte.
Niemand antwortete. In einer anderen Familie hätte dies nichts weiter bedeutet: Vielleicht waren Mann und Kinder Eis essen oder ins Kino gegangen. Aber für Mariann war das rhythmische Klingeln ein Zeichen des Unheils. Khalid ging nie mit den Kindern aus, schon gar nicht abends.
Schon als sie auflegte, »wußte ich innerlich, daß er sie in den Irak mitgenommen hatte«.
Mariann rief jede Stunde an, und bei jedem erfolglosen Versuch wuchs ihre Angst. Wenn ihr Mann ohne Vorwarnung abgereist war, konnte sie das nicht weiter überraschen, denn das hatte er in den vergangenen zehn Jahren ein halbes dutzendmal getan. Erst kurz zuvor hatte er den Wunsch geäußert, in den Irak zurückzukehren.
Mariann rechnete damit, daß er wie so oft allein reisen würde. Bisher hatte sie nicht im Traum daran gedacht, daß er die Kinder mitnehmen könnte.
Am nächsten Tag begab Mariann sich auf den langen Heimweg. Sie bemühte sich, langsam zu fahren und ruhig zu bleiben, denn sie wollte nicht aus Panik einen Unfall verursachen. Sie mußte jedoch immer an das merkwürdige Verhalten denken, das ihr Mann seit kurzem an den Tag 231
legte. Khalid hatte sich immer über ihre Leidenschaft für Antiquitäten geärgert, vor allem über ihre Geschäftsreisen Als sie das erste Mal in Ohio übernachtete, hatte er sich geweigert, ihre Anrufe entgegenzunehmen. Nach dem zweitenmal war er eine Woche lang schlecht gelaunt. Vor dieser dritten Reise jedoch war er ungewöhnlich hilfsbereit gewesen. »Fahr ruhig«, hatte er gesagt. »Und wenn du müde bist kannst du ja bis Montag bleiben.«
Als Mariann abends zu Hause eintraf, fand sie alles unverändert vor. Nur auf dem Wohnzimmerboden lag ein leerer Koffer, dem sie verbittert einen Fußtritt versetzte. »In diesem Augenblick wußte ich sicher, daß er abgereist war.« Auf dem Eßzimmertisch fand sie eine Notiz, die auf einen Fetzen Computerpapier gekritzelt war:
»Wir machen Ferien. Bis bald.«
Von den Kindersachen fehlte nichts. Khalid hatte alles
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