02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
schließt Vorder- und Hintertür ab und spielt mit einem Freund im Keller Poolbillard. Nach einer Stunde hat er sich wieder beruhigt und ist für alle Eventualitäten gerüstet.
»Manchmal ist man fast überfordert, aber man weiß, es lohnt sich immer«, sagte er neulich. »Ich würde mit niemand anderem tauschen.«
In besonders schweren Zeiten denkt Craig an die plötzliche Ruhe, die ihn überkam, als Frank Corbin und er auf einem Parkplatz an der deutschen Grenze im Auto saßen -als die Erfolgschance ihres riskanten Plans, sicher über die Grenze zu kommen, praktisch gleich Null war.
»Ich habe immer fest an Gott geglaubt«, sagte Craig. »Aber nun glaube ich mehr denn je, daß ich einen Schutzengel habe. Da war etwas, als wir die Grenze überquerten, nicht nur die Erregung. Es war, als legte Gott mir die Hand auf die Schulter und sagte: >Alles ist in Ordnung. Du tust das Richtige. Ich bin bei dir.<«
Trotz unserer ständigen Sorge gehören Craig und ich zu den Glücklichen. Die große Mehrheit der verlassenen Eltern hat nicht soviel Glück. Sie sitzen in leeren Häusern, allein mit ihren Erinnerungen und alten Fotos, mit verstaub-226
ten Spielsachen und verrosteten Schaukeln. Meist fehlen ihnen die Mittel oder die Gelegenheit für eine Entführung, und wenn sie versuchen, ihre Kinder auf legalem Weg über ein ausländisches Gericht zurückzubekommen, werden sie meist abgewiesen.
Im Iran lebte ich in einer Gesellschaft, die mir vor Gericht keine Chance gab. Frau und Kinder waren ganz einfach das Eigentum des Mannes. Selbst wenn ich Moody hätte überreden können, sich von mir scheiden zu lassen (was unwahrscheinlich gewesen wäre), das Sorgerecht für Mah-tab hätte auf jeden Fall er erhalten.
Obwohl Kinder nach islamischem Recht bis zu ihrem siebten Lebensjahr in der Obhut der Mutter bleiben sollen, versicherten mir alle, die ich in Teheran fragte, daß ich vor Gericht verlieren würde. Zuviel sprach gegen mich -
die Tatsache, daß ich keine Moslime war (trotz meiner vorgetäuschten Bekehrung), und, noch belastender, meine amerikanische Staatsbürgerschaft. Ich war überzeugt daß ich gegen einen iranischen Arzt vor Gericht keine Chance hatte. Christy Khan ist bis heute die einzige mir bekannte Frau aus dem Westen, der von einem islamischen Gericht gestattet wurde, mit ihren Kindern ein überwiegend islamisches Land zu verlassen.
Ist der verlassene Partner ein Mann, stößt er bei uns wie im Ausland auf ein weiteres Hindernis: das deutliche Vorurteil gegenüber Vätern beim Streit um das Sorgerecht. In einem von fünf Fällen werden die Kinder von der Mutter entführt, das heißt, in jedem fünften Fall ist der Vater der verlassene Elternteil.
Die Geschichte von Craig DeMarr - wie die von Ramez Shteih - macht deutlich, daß unser Problem nicht nur Mütter oder nur Väter angeht, sondern beide Elternteile. Sie Zeigt auch, daß das Geschlecht allein nicht darüber ent-227
scheiden darf, wer für die Erziehung der Kinder am besten geeignet ist, und daß das Recht eines Kindes auf Geborgenheit und Sicherheit Vorrang haben muß.
Zwischen Hoffen und Bangen
Nach zahlreichen Beratungen wurde Chris Korest, Arnie und mir klar, daß keine Region, kein Staat und keine soziale Schicht gegen das Problem der internationalen elterlichen Kindesentführung gefeit ist. Das Problem war viel größer und weniger bekannt, als wir angenommen hatten. Um es stärker ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken, schlug Chris einen Workshop vor, zu dem insbesondere Richter und Anwälte eingeladen werden sollten.
Getrieben von ihren Muttergefühlen, stieß auch Lori Hansen Riegle, die Frau des Senators, zu uns. Eines verschneiten Abends im November 1990 kam sie nach Lansing, wo der erste Workshop stattfand.
Auch vom Nationalen Zentrum für vermißte und mißbrauchte Kinder und vom Außenministerium erschienen Vertreter. Neben den Experten saßen auch betroffene Mütter, Christy Khan und Jessie Pars, auf dem Podium.
Ich sprach von meinen Erfahrungen. Nach mir berichtete Jessie Pars aus Philadelphia, wie sie ihren Mann dazu überredet hatte, ihre beiden Kinder aus dem Iran zu einem Besuch in die Türkei zu bringen, und wie sie die Kinder von dort in die Staaten zurückgeholt hatte. Dann erzählte Christy Khan von ihren beiden Söhnen, die damals noch immer in Pakistan waren.
Zu diesem Zeitpunkt gab es kaum noch ein trockenes Auge im Publikum. Die Zuhörer erkannten, daß dieses Pro-229
blem auch bei uns häufig vorkam.
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