02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Kinder spielten in Marianns Hotelzimmer, und Khalid machte ein Nickerchen. Dann quetschten sich alle vier in einen Toyota Corolla zu Marianns Gepäck und Khalids Bruder und Nichte, die mitgekommen waren.
Adora, die um zehn Zentimeter gewachsen war und mindestens 23 Kilo 251
wog, saß auf Marianns Schoß. Dort schlief sie bis zum Ende der Fahrt.
Nach einer vierstündigen Fahrt über eine ausgetrocknete öde Straße kamen sie in Mosul an. Marianns erste Eindrücke waren negativ. Im Gegensatz zu Bagdad gab es hier überhaupt kein Grün; der Frühlingsregen lag bereits Monate zurück, und seitdem waren alle Pflanzen verdorrt. Man hatte ihr gesagt, Mosul sei aufgrund seiner höheren und nördlicheren Lage kühler als Bagdad. Jetzt wußte sie, was das bedeutete: Wenn man in Bagdad unter 46 Grad stöhnte, schmachtete man in Mosul bei 37 Grad. Sie machte sich Sorgen wegen der schwarzen Hosen und Blusen, die sie mitgenommen hatte.
Als sie endlich zu dem Haus kamen, das Khalid gemietet hatte, war es in der Umgebung stockdunkel. Nur aus einigen vereinzelten Häusern, die ihren Strom aus privaten Generatoren bezogen, drang Licht. »Verdammt«, schimpfte Khalid, »kein Strom!« Er hielt vor einem eisernen Tor. Ma-riann ging durch einen kleinen, gekachelten Innenhof zu dem Zementhaus, das Khalid und die Kinder sich mit seiner Mutter teilten. Sie wurde von den zehn bis zwölf Anwesenden herzlich begrüßt. Dann setzte sie sich auf eine Matratze und versuchte, sich an das schwache Licht einer Kerosin-lampe zu gewöhnen. Nach zehn Minuten schaute Khalid herein und sagte:
»Ich bin in wenigen Minuten zurück.« Er blieb anderthalb Stunden weg und überließ seine Frau seinen Verwandten, die sie so mit Fragen überschütteten, daß Adam mit dem Übersetzen nicht nachkam. Er läßt mich schon wieder im Stich, dachte Mariann finster.
Verschwitzt und erschöpft fragte sie Adam nach einem Badezimmer. »Mom«, sagte Adam, als sie das Haus mit einer Lampe betraten, »die Badezimmer sind hier anders als zu Hause.«
»Was meinst du damit?« fragte Mariann.
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»Sie sind anders als zu Hause«, wiederholte er.
Nichts hätte sie auf das vorbereiten können, was sie erwartete: ein übelriechendes Loch im Boden. Nicht einmal eine Spülung gab es, wie die Häuser der besser situierten Einwohner Mosuls sie hatten. Angewidert stolperte sie wieder hinaus, ohne ihre Notdurft verrichtet zu haben.
Als Khalid endlich zurückkam, konnte Mariann sich nicht mehr beherrschen. Sie ging mit ihm ins Haus und explodierte: »Ich weiß nicht, wie du hier leben kannst! Wie konntest du dich zu Hause in Michigan darüber beklagen, daß ich nicht genug putze, wenn du jetzt hier in diesem Dreck lebst?«
Khalid weinte. So hatte er sich ihre erste gemeinsame Nacht nicht vorgestellt. Er kannte den Zustand des Hauses nur zu gut und hatte im vergangenen Monat nach einer besseren Unterkunft gesucht, aber das Geld war knapp.
Das Embargo der Vereinten Nationen hatte seinen Plan zunichte gemacht, ins Import-Export-Geschäft einzusteigen. Der Toyota war geliehen, denn er konnte sich kein eigenes Auto leisten. Seine Geschwister konnten ihm diesmal nicht helfen, da sie selbst durch die letzten beiden Kriege (mit dem Iran und den USA) ruiniert worden waren. Um wenigstens den Lebensunterhalt zu sichern, verbrachte Khalid seine ganze Zeit damit, den Umsatz eines Videoladens anzukurbeln, den er zu einem Spottpreis gekauft hatte.
Am nächsten Morgen bekam Mariann ihren ersten realistischen Eindruck von Mosul. Die Stadt lag unter einem diesigen, wolkenlosen Himmel, der sich nie ändern sollte. Im Gegensatz zu Bagdad war Mosul durch die amerikanischen Luftangriffe nur relativ leicht beschädigt worden, obwohl eine Bombe ein Haus nahe der Straße von Khalids Bruder zerstört hatte. Eine kleine Nichte Khalids war von einem Granatsplitter verwundet worden, als sie zusammen mit anderen Kindern die Blitze am nächtlichen Himmel beobachtete.
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Aber auch nach Ende der Kämpfe war fast das ganze Leben in Mosul vom Krieg gezeichnet. Der Strom fiel ein-bis dreimal am Tag aus, wobei ein Ausfall bis zu sechs Stunden dauern konnte. Das Wasser wurde täglich drei bis fünf Stunden lang abgestellt, was in der sommerlichen Hitze einer Katastrophe gleichkam. Einmal folgte auf einen ungewöhnlich langen Stromausfall sofort ein Wasserausfall, der bis in die Nacht dauerte. Die Klimaanlagen funktionierten deshalb den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht.
»Wir schrubbten den Innenhof mit
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