02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
sehr.«
Als Mariann eine Woche da war, verkündete Khalid stolz, er habe in einer »Touristenstadt« am kurz zuvor umgetauften Saddam-Staudamm 25 Kilometer nördlich von Mosul für eine Woche ein Apartment gemietet.
Mariann war von der modernen Wohnung begeistert, denn dort gab es ein westlichem Standard entsprechendes Leitungssystem und vor allem heißes Wasser und eine Dusche. Doch die Freude war nur kurz, denn bald hörte sie das Dröhnen von US-Bombern, die sich auf einem Aufklärungsflug befanden. Sie flogen so niedrig, daß die Feriengäste die Nummern an
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ihrem Rumpf lesen konnten. Alle schauten nach oben, selbst die kleinen Kinder im Swimmingpool. Diese Vorfälle waren für Adora besonders traumatisch. Sie hatte solche Angst vor Bombern, daß sie jedesmal die Augen schloß, wenn sie im Fernsehen ein Flugzeug sah. Adam erzählte seiner Mutter, daß die USA früher täglich Angriffsflüge über der Farm gemacht hätten. Auf die Frage, wie er darauf reagiert habe, antwortete er:
»Ich habe die Flugzeuge gezählt.« Damals befürchtete man, die USA könnten die Bombardements wiederaufnehmen. Die Saieeds reisten nach drei Tagen ab, als zwei Kampfhubschrauber wenige hundert Meter vor den Fenstern ihres Apartments vorbeiflogen.
In Mosul begann für Mariann wieder die tägliche Routine. Die Langeweile plagte sie so sehr, daß sie das einzige Buch, das sie bei sich hatte, einen 500 Seiten langen Roman, zweimal las. Um den Tag zu verkürzen, standen sie und die Kinder gewöhnlich erst um elf Uhr auf. Die Kinder schliefen auf Matten neben den Eltern, da das Kinderzimmer keine Klimaanlage besaß. Da sie nur wenige Spielsachen hatten, sang Mariann mit ihnen Lieder und dachte sich Spiele aus; zum Beispiel warfen sie Wäscheklammern in einen Eimer.
Eine weitere Abwechslung boten die Fotografien von zu Hause, die Mariann vor Khalid versteckt hatte, um ihn nicht zu verärgern. Adam war von einem Bild seiner sechsjährigen Cousine und Spielgefährtin Andrea besonders angetan. »Sie ist so schön, Mom«, sagte er, »ich wünschte, ich könnte sie sehen.« Er konnte nicht glauben, wie groß Andreas kleine Schwester Christina geworden war.
Adams Zuneigung zu seinen Cousinen beruhte auf Gegenseitigkeit. Ein Jahr nach der Entführung fand Andreas Mutter ihre Tochter schluchzend im Bett. »Adam und Adora fehlen mir«, klagte sie.
Mit Unbehagen stellte Mariann fest, wie wenig Kontinui-
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tät es im Leben der Kinder gab. Als sie Adam fragte, was er an seinem Geburtstag unternommen habe, kannte er nicht einmal mehr das Datum seines Geburtstags. Mariann machte Khalid deswegen Vorwürfe, doch er entgegnete nur: »Wir hatten keinen Grund zu feiern.«
Am Nachmittag, wenn es keine Elektrizität gab und die Klimaanlage aussetzte, ging sie mit den Kindern aus den stickigen Räumen ins Freie, um in dem kargen Schatten im Innenhof Erleichterung zu suchen. Hier begann die tägliche Hauptbeschäftigung: das Wäschewaschen von Hand. Mariann schloß einen Schlauch an die Küchenspüle an und führte ihn durch ein offenes Fenster nach draußen in einen großen Zuber. Adora arbeitete an einem kleineren Zuber, Adam spülte die Wäsche. Da die Kinder nur wenig Kleidung zum Wechseln besaßen, mußten sie täglich anderthalb Stunden oder länger waschen, bis die ihnen zugeteilte Allzweckseife gegen Monatsende ausging.
Der zweite tägliche Höhepunkt für die Kinder war die Ankunft ihres Vaters zum Mittagessen und zu einem späten Abendessen, obwohl Khalid meist wenig Geduld mit ihnen hatte. Adora konnte kaum etwas falsch machen, aber gegenüber Adam war er sehr hart. Er machte den Neunjährigen sogar für Streiche verantwortlich, die auf das Konto seiner kleinen Schwester gingen. »Du mußt auf sie aufpassen«, knurrte er. Einmal sagte Adam zu seiner Mutter: »Mom, erinnerst du dich noch an Amerika? Daddy hat mich nie verprügelt. Und weißt du was?
Hier macht er es die ganze Zeit - die ganze Zeit.«
Wenn der ungeduldige Khalid an der verschlossenen Vordertür zweimal klingeln mußte, berichtete Mariann,
»schimpfte er Adam aus, weil der Junge nicht gleich nach dem ersten Klingeln aufgemacht hatte. Sobald es an der Tür klingelte, rannte Adam los, dafür sorgte ich schon, weil ich auch nicht wollte, daß er ausgeschimpft würde. Ich sagte:
>Los, lauf schnell !< Und er sprang auf, fuhr in seine Sandalen und rannte zur Tür.«
Von Khalids unberechenbaren disziplinarischen Maßnahmen abgesehen, lag die Erziehung der Kinder allein bei
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