02 - Der 'Mann in Weiß'
offene See. Ein Rumgetränk, aber viel zu süß. Tom verzog das Gesicht und stellte das Glas auf den Tisch zurück. Kurze Zeit später ging es mit dem Bus zurück nach San Miguel.
Tom ging unter die Dusche und schlüpfte in frische Kleider.
Er wurde aus Cordova noch nicht ganz schlau. Wie es aussah, war der Hehler tatsächlich nicht der Auftraggeber Bransons gewesen. Möglicherweise hatte der ihm aber etwas verraten, das wichtig sein konnte. Und wenn es Cordova gelingen sollte, den Auftraggeber zu ermitteln, hatte sich der Besuch bei ihm doch gelohnt.
Dafür war Tom sogar bereit, sich weiter mit dem zwielichtigen Cordova abzugeben. Alles, was er bislang in Händen hielt, waren lose Puzzlesteine, die noch nicht zusammenpassten. Es war an der Zeit, Struktur in die Sache zu bringen…
***
4. Januar 1986, Cozumel
Fernando Gaitan war damit beschäftigt, Koffer in Transportcontainer zu laden und diese dann mit einer Hubvorrichtung in den Bauch des Passagierflugzeugs zu hieven.
»Hallo, Señor Gaitan«, sagte plötzlich eine laute Stimme.
Fernando sah nach unten und bemerkte einen jungen, etwas dicklichen Mann im schreiend bunten Hawaiihemd. »Hallo. Kann ich etwas für Sie tun, Señor?«
»Unter Umständen. Ja, doch, ich bin sicher.«
»Einen Moment werden Sie aber noch warten müssen. Zuerst muss das Gepäck rein.«
Bald darauf stand Fernando neben dem Fremden, der ihn um eine Handbreit überragte.
»Gestatten, dass ich mich vorstelle«, sagte der Hemdträger. »Cenobio Cordova. Ich bin ein Geschäftspartner Ihres Bruders Béjar. Leider war ich einige Monate verreist. Ihr Bruder hat in dieser Zeit einige Male versucht, mich zu erreichen. Jetzt bin ich wieder hier, erreiche nun aber ihn nicht. Können Sie mir sagen, wo er sich zurzeit aufhält?«
Fernando machte ein betrübtes Gesicht. »Dann haben Sie das Drama also gar nicht mitbekommen, wie? Es war immerhin ganz groß in den Nachrichten.«
Eine steile Falte erschien auf Cordovas Stirn. »Um was geht es?«
»Um das Massaker in den Bergen. Die elf Toten.«
»Ach, das. Soll eine Auseinandersetzung zwischen Drogenbanden gewesen sein. Kommt in unserem schönen Land ja öfters vor… War Béjar etwa darin verwickelt?«
Fernando Gaitan winkte ab. »Nein, nein. Aber sein bester Freund Gandarilla. Er wurde ziemlich übel zugerichtet, und Béjar sollte ihn identifizieren. Seither dreht mein Bruder total ab.«
»Was heißt das?«
»Dass er verrückt geworden ist, das heißt es. Und dass es jeden Tag schlimmer wird. Ich mache mir echte Sorgen, weil er schon drei Tage nicht mehr aufgetaucht ist. Ehrlich, es wird immer schlimmer. Ich habe mir schon überlegt, ob ich ihn nicht in ein Sanatorium einweisen lasse, aber dafür fehlt mir das Geld.«
Cordova nickte bedächtig. »Hören Sie, Señor Gaitan, ich würde Sie gern in meine Dienste nehmen und so gut bezahlen, dass Sie sich den Sanatoriumsplatz für Ihren Bruder leisten können. Ich kann nämlich einen Mann direkt am Flughafen gut gebrauchen, der hin und wieder kleine Dienste für mich erledigt. Und noch besser trifft es sich, wenn dieser Mann auch noch Zugang zu den Frachträumen hat.«
»Hm… Es geht um Schmuggel, nicht wahr?«
»Welch hässliches Wort. Ihr Bruder hat es nie benutzt. Sehen Sie es so: Das Gesetz selbst ist so korrupt, dass alles, was wir tun, nicht illegaler sein kann. Und außerdem ist eine hübsche Summe für Sie drin. Überlegen Sie es sich.«
»Welche Art Geschäfte haben Sie denn mit Béjar gemacht?«
Cordova grinste feist. »Ich konnte etwas, das er mir angeboten hat, gewinnbringend weiterverkaufen. An einen Diplomaten aus Spanien, einen echten Kunstkenner. Das hat Ihrem Bruder fünfzigtausend Pesos eingebracht, und auch mir ein erkleckliches Sümmchen. Das sage ich Ihnen nur, damit Sie sehen, wie attraktiv es ist, für mich zu arbeiten. Ich habe Zugang zu Kreisen, in denen sich Geschäfte tatsächlich lohnen.«
Bereits am nächsten Tag stand Fernando Gaitan auf Cordovas Lohnliste. Und er konnte den Vorschuss, den der Kunsthändler ihm gewährte, gut gebrauchen. Denn nachdem plötzlich Béjar wieder auftauchte und ihm völlig verwirrt erzählte, was er getan hatte, war es an der Zeit, den Schritt zu tun, vor dem sich Fernando bisher so sehr gefürchtet hatte: Er ließ seinen Bruder psychiatrisch untersuchen und in die Irrenanstalt einweisen. Was hätte er tun sollen ‒ ihm blieb keine andere Wahl…
***
Gegenwart, 17. Oktober 2011, San Miguel del Cozumel
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