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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Schadchen ist ein Heiratsvermittler. Ein ganz gewöhnlicher Amor. Nur mit einem jüdischen Kopf statt mit Pfeil und Bogen. Bei den Juden erfüllt der Schadchen, der ebenso gut Mann wie Frau sein kann, eine ganz wichtige gesellschaftliche Funktion. Das Vermitteln einer Ehe gilt bei uns als eine fromme Handlung.«
    »Mein Gott, du kannst doch nicht wirklich glauben, dass sich im zwanzigsten Jahrhundert ein Mädchen wie ein Pferd verschachern lässt. Da waren ja unsere Eltern schon weiter.«
    »Und glaubst du wirklich, Johann Isidor Sternberg, der Sohn eines Viehhändlers aus Schotten in Oberhessen, hat das wohlhabende und hoch gebildete Fräulein Betsy Strauß aus Pforzheim auf dem väterlichen Kartoffelacker ausgebuddelt?«
    »Ich kann mir mich gar nicht als verheiratete Frau vorstellen. Ich war immer so sicher, ich würde im Leben was Großes leisten.«
    »Es gibt keine größere Leistung für eine Frau, als es ein Leben lang bei einem Mann auszuhalten. Und keine größere Tragödie für eine Frau, als die Feiertage bei ihren verheirateten Geschwistern zu verbringen und abends mit einer Wärmflasche ins Bett zu gehen.«
    »Aber Clara...«
    »Vergiss Clara. Du bist nicht wie sie. Du bist die schönste und empfindsamste meiner drei Schwestern. Pardon, ich hab schon wieder Jungfer Anna vergessen. Und wenn eine Frau nicht dafür geeignet ist, allein durchs Leben zu gehen, dann bist du’s, Prinzessin. Übrigens eignest du dich auch nicht zur Schauspielerin.«
    »Du hast ja nichts von mir gesehen, seitdem ich Silvester vor zwei Jahren mit Claudette das Stückchen von ›Marietta‹ geplärrt habe.«
    »Dein Talent kann ich auch nicht beurteilen. Nur deine Ellbogen. Die taugen nichts fürs Theater. Nein, ich rede absolut nicht wie der Blinde von der Farbe. Ich war zwei Jahre lang mit einer Schauspielerin zusammen.«
    »Und was hat euch auseinandergebracht?«
    »Der Gashahn. Sie hat ihn aufgedreht, weil sie mit den Enttäuschungen und Intrigen nicht fertig geworden ist, die für Schauspieler das tägliche Brot sind. Du musst nicht weinen, Vickylein, aber wenn du weinen musst, ist es besser jetzt als später.«
    Obwohl Erwin seit zehn Jahren in Berlin lebte, kannte er sich glänzend in seiner Vaterstadt aus – vor allem in der weiten Landschaft der Kaffeehäuser. Er wusste, wo die besten Torten gebacken wurden, wo die interessantesten Zeitungen auslagen und wo es mehr jüdische Gäste als anderswo gab. Seine Schwester, am Anfang noch widerstrebend und entsprechend gehemmt, fand sehr bald Gefallen an der sanften Bevormundung ihres phantasievollen Bruders. Erwin war der ideale Begleiter, charmant, witzig und aufmerksam. Frauen drehten sich nach ihm um, Männer schätzten seine Scherze und seine Ironie, Kellner empfingen ihn schon beim zweiten Besuch wie einen Stammgast. Die Geschwister waren viel in den feinen Cafés auf der Kaiserstraße unterwegs. Sie kehrten gern ins Café Bräutigam am Liebfrauenberg ein, wanderten bei schönem Wetter bis zur Fichardstraße, in der es nun seit drei Jahren das Café Laumer gab, und saßen oft in dem beliebten Café Leo Rothschild an der Ecke zwischen Biebergasse und Rathenauplatz.
    Die meisten Abende waren noch warm genug, um sie im Garten vom Café Rumpelmayer an der Gallusanlage zu genießen. Das Rumpelmayer war ein internationaler Treffpunkt. Dort machten die Omnibusse mit Reisegesellschaften von nah und fern halt. Auf den Tischen standen kleine Papierfahnen aus aller Herren Länder. Ausgerechnet in dieser Atmosphäre von Leichtigkeit und fröhlichem Flirt fand die vielversprechende Karriere des Erwin Sternberg als Schadchen ein Ende, ehe sie überhaupt richtig in Gang gekommen war.
    Es war an einem frühen Freitagabend. Doktor Friedrich Feuereisen, der sich an einem Stück Frankfurter Kranz delektierte und dazu einen Einspänner nach Wiener Art zu sich nahm, sah die Geschwister Sternberg im gleichen Moment, da sie das Terrain betraten. Die Glocke der nahen Katharinenkirche schlug gerade zum sechsten Mal. Die letzten Strahlen der Septembersonne versprachen einen goldenen Oktober. Das Laub färbte sich bunt; es roch, obgleich das in Frankfurt kaum wahrscheinlich war, nach Kartoffelfeuer.
    Doktor Feuereisen war in Hochstimmung. Am Morgen hatte der Achtundzwanzigjährige erfahren, dass er allerbeste Aussicht hatte, Notar zu werden – sein Seniorpartner plante, sich nach Lugano zurückzuziehen, und hatte vor, sich von seinem Nachfolger versorgen zu lassen. Der so jung vom Glück gesegnete

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