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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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der ganze Trubel galt, hatte den gleichen Geschmack wie ihre Mutter. Sie verzog jedes Mal das Gesicht zum Weinen, wenn sie an den drei farbintensiven Kühen vorbeigetragen wurde. Es war Anordnung gegeben worden, ihr dies an ihrem Geburtstag zu ersparen. Madamchen empfing ihre Gäste in einem leichten weißen Wollkleid mit aufgestickten Rosenknospen und rot paspeliertem Kragen. Über dem Herzen steckte ein zierlicher Kranz, geflochten aus dunkelgrünen Samtbändern und mit frischem Lorbeer bestückt. In beiden Händen hielt die Hochdekorierte den von ihrer Mutter in die Ehe gebrachten Plüschhund. Abwechselnd babbelte sie in sein Fell und nuckelte versunken an seinen langen Schlappohren. Auf dem hellen Parkettboden lag ein kleiner Filzball, dessen Farben zufällig den Kühen von Franz Marc entsprachen, doch dies fiel nur ihrem Vater auf.
    Schauplatz der häuslichen Idylle war eine Sechszimmerwohnung in dem großartigsten Haus der Günthersburgallee. Ein überaus phantasievoller Architekt hatte es in den Gründerjahren mit einem Quäntchen Ironie und sehr viel Sinn für das neue Selbstbewusstsein der Deutschen zu einem bürgerlichen Palais gestaltet. Das Anwesen war mit Türmchen und Erkern, reich verzierten Balkons und einem Vorgarten versehen, in dem im Dezember zwei kleine Tannen mit Lametta und silbernen Kugeln geschmückt wurden und im Frühjahr die Tulpen quittengelbe Köpfe in die Sonne reckten. Es handelte sich just um jenes Haus, in dem die vorausblickende Victoria Sternberg schon als Sechsjährige zu wohnen beschlossen hatte. »Ich will aus dem Fenster im Turm gucken«, hatte sie ihrer Schulfreundin Marie kundgetan, wenn die beiden auf dem Trottoir vor dem Traumpalast in blau gemalte Hickelkreise gehüpft waren.
    Victoria hatte nicht mit sich handeln lassen, als das junge Ehepaar Feuereisen vor der Entscheidung stand, in welchem Frankfurter Stadtteil sie ihr erstes Nest bauen wollten – schon gar nicht, als zwei Monate vor der Hochzeit bekannt wurde, dass in dem so lang vertrauten Haus die Wohnung im ersten Stock leer stand. In dem Erkerzimmer, das die kleine Vicky einst zum Thronzimmer bestimmt hatte, stand nun ein Himmelbett mit Kissen in Herzform und rosa Tüllvolants. Dort schlief Fanny Mathilde Feuereisen. Sie hatte eine niedliche Stupsnase und kleine Ohren, und ihr Vater sagte, sie sehe Lilian Harvey ähnlich. Für die schwärmte er, den Film »Der Kongress tanzt« hatte er dreimal gesehen.
    Fanny Feuereisen aß ihren Brei nicht aus einer goldenen Schüssel. Sie war die Tochter von Frankfurter Bürgern, wie sie geboren in der ehemaligen Freien Reichsstadt, die, so fanden alle, mit Recht stolz auf ihre Tradition und Liberalität war. Vom Vater hatte das Mädchen ihr nachgiebiges Gemüt, von der Mutter die grün schillernden Augen und von der Pforzheimer Urgroßmutter den aparten rötlichen Schimmer im Haar. In fünf Jahren würde sie wie ihre Mutter in die Merianschule gehen, im zweiten Schuljahr »Frankfurt ist meine Heimatstadt« in ihr Heft schreiben und mit zehn Jahren bei Familiengeburtstagen den Frankfurter Lokalpoeten Friedrich Stoltze mit dem geliebten Zweizeiler »Unn es will merr net in den Kopp enei, wie kann ein Mensch net aus Frankfurt sei« zitieren. Papa übte schon mit der Einjährigen.
    Fanny hatte einen früh entwickelten Sinn für Pointen. Zu ihrem Geburtstag überraschte sie ihre Eltern mit den ersten Schritten und lief ohne stützende Erwachsenenhand vom Vertiko bis zum eingedeckten Esstisch. Dort zog sie beherzt am Tischtuch und beobachtete interessiert, wie ein Mittelteller aus dem elsässischen Frühstücksservice und das dazupassende Sahnekrügelchen zu Boden stürzten und dort zerschellten. Die Eltern lachten und wunderten sich, dass sie es taten. Gustel, die der Hausherr gerufen hatte, um das Porzellan aufzuklauben und seine milchgetränkte Hose zu säubern, fluchte – unangebracht hörbar und unziemlich ordinär.
    »Das geht nicht«, rügte ihre junge Chefin. Einen Moment sah sie ihrer Mutter erstaunlich ähnlich.
    Gustel, ihr Dienstmädchen, war die Tochter einer Cousine Josephas, die ihrerseits ja seit zweiunddreißig Jahren aufs Innigste der Familie Sternberg verbunden war. Allerdings ließ sich bereits nach den ersten drei Monaten von Gustels Frankfurter Aufenthalt absehen, dass ihr Herz nicht nach einer so dauerhaften Bindung verlangte, noch nicht mal nach einer persönlichen Beziehung. Gustel war weder so pflichttreu noch so arbeitsbesessen wie Josepha, Loyalität

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