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02 - Die ungleichen Schwestern

02 - Die ungleichen Schwestern

Titel: 02 - Die ungleichen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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Darüber
trug sie ein Cape, das mit Rüschen eingefasst war. Die kleinen spitzen
Schnürschuhe waren mit Schleifen verziert und hatten ganz flache Absätze. Ihr
Haar war à la Titus frisiert, eine Frisur, bei der man jede Locke einzeln
zurechtzupfen und dann mit einem Band, das um den Kopf und unter dem Kinn
entlang lief, bändigen musste.
    Dann
wandte Jane ihre Aufmerksamkeit dem Marquis of Berry zu. Er war sehr groß und
mager, ziemlich alt, vielleicht so um die Vierzig. Er schien überhaupt kein
Kinn zu haben; allerdings war seine Halsbinde so üppig und die Seiten seines
Hemdkragens so hoch, dass es möglicherweise irgendwo in den Stoffalten
vergraben war. Er hatte breite gepolsterte Schultern und eine eingezwängte
Taille. Eine kühne schwarzgold gestreifte Weste, eine schwarze Jacke und dünne
Schenkel in schwarzen Kniehosen verliehen ihm das Aussehen einer Wespe.
Euphemia schien dennoch sehr zufrieden mit ihrem Begleiter zu sein.
    In
diesem Augenblick kam Felice eilig ins Zimmer und stieß einen Schreckensschrei
aus, als sie Jane immer noch im Unterkleid am Fenster stehen sah. Sie eilte
wieder hinaus, um passende Kleidungsstücke aus Euphemias Schrank zu holen, und
streifte Jane schließlich ein einfaches weißes Musselinkleid über, das sie mit
einer grünen Seidenpelerine mit langen Ärmeln, die am Handgelenk weiter wurden,
kombinierte. Die Pelerine hatte am Oberteil einen Schnürverschluß, und der Saum
war gerafft. Es blieb nicht genug Zeit, um Janes Haar richtig zu frisieren, so
verknotete Felice es zu einem Krönchen und bedeckte es mit einem hübschen
Zigeunerhut aus Stroh. Handschuh, Täschchen, Sonnenschirm und Fächer trug
Felice hinterher, während sie Jane in aller Eile die Treppe hinabdrängte.
    Als
Jane den vorderen Salon betrat, traf sie Lord Tregarthan in angeregter
Unterhaltung mit ihrem Vater an. Zur Abwechslung stand Mrs. Hart einmal nicht
im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern wurde schlicht ignoriert. Lord
Tregarthan schien seine Unterhaltung mit Mr. Hart höchst ungern zu beenden, und
als er Jane endlich anschaute, war der Blick seiner blauen Augen träumerisch
und verschwommen, und er schien sie gar nicht richtig wahrzunehmen.
    Er machte
seine Verbeugungen und verabschiedete sich, bevor er Jane half, seinen
Zweispänner zu besteigen. Es war ein hohes karmesinrotes Gefährt, das zwei
Fuchsstuten zogen, die hintereinander, auf sogenannte Tandemart, angespannt
waren. Lord Tregarthan in einer rehbraunen Reitjacke, Lederhosen und
Stulpenstiefeln sah jeder Zoll wie ein Wagenlenker nach der neuesten Mode aus.
    Seinen
Diener, der gewöhnlich auf dem hinteren Trittbrett stand, hatte er zu Hause
gelassen. Er wartete, bis sich Jane bequem neben ihm zurecht gesetzt hatte,
schüttelte dann sanft die Zügel, schnalzte mit der Zunge, und die Pferde
setzten sich in Bewegung. Die Sonne beschien ihre seidigen Flanken.
    Es
herrschte viel Verkehr auf dem Piccadilly, und Seine Lordschaft murmelte etwas,
das so klang, als wäre es besser gewesen, die Curzon Street entlang zu fahren.
Dann erhob er die Stimme. »Ich hoffe, dass es im Park nicht zu staubig ist. Es
sind nichts als Freiwillige dort, die üben und marschieren. Ich glaube, in
London sind mehr Soldaten als in Frankreich stehen, um gegen die Franzosen zu
kämpfen.«
    Jedes
Stadtviertel hatte seine Freiwilligen - die Bloomsbury Volunteers, die
Chelsea Volunteers, die Clerkenwell Volunteers und so fort. Napoleon versetzte
das Land in diesem neuen Jahrhundert genau wie im alten in Angst und Schrecken.
Es gab so viele reguläre Truppen, Freiwillige und zum Militär gepresste Männer,
dass 1500 in St. George Fields, 1000 in Blackfriars, 1000 am Tower Hill, 1200
am Findelhaus und 2700 im Hyde Park lagerten.
    Ein
hübsches Hausmädchen in einem bedruckten Kattunkleid kam ihnen entgegen, gerade
als er aufgehört hatte zu reden. Ihr Kleid war schamlos kurz - es
enthüllte ihre Fesseln fast vollständig. Der Beau warf ihr einen anerkennenden
Blick zu.
    Jane
wollte nicht, dass er hübsche Hausmädchen anschaute - er sollte überhaupt
keine außer ihr anschauen. Sie biss sich aufgeregt auf die Unterlippe. Euphemia
würde mit ihrem Marquis im Hyde Park sein. Auf einmal wurde es Jane bewußt, dass
Euphemia Wert darauf legen würde, sie anzusprechen, damit sie die ganze
Aufmerksamkeit Lord Tregarthans auf sich ziehen konnte.
    »Ich
will gar nicht in den Park«, sagte sie unternehmungslustig. »Ich bin bis jetzt
noch nie richtig weg gewesen und ich kenne nichts

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