02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
zusammen: das unverhofft große Erbe und die besondere Gabe meines Vaters - seine stets großen Ideen. Meine Mutter besaß das nötige Geld, damit er die neueste realisieren konnte.
Papa David hatte von einem sehr erfolgversprechenden Farmprojekt nordöstlich von Abuja gehört. Abuja, mitten im Land, 1 000 Kilometer von Lagos entfernt, war 1976 zur neuen Hauptstadt Nigerias ausgerufen worden. In den Ausläufern des fruchtbaren Jos-Plateaus stand eine heruntergekommene Farm zum Verkauf. Der Ort hieß Jeba. Vater, dessen Kontakte sich inzwischen über das ganze Land erstreckten, erkannte die enormen Vorteile der Lage Jebas: Die neue Hauptstadt würde irgendwann einmal Millionen Menschen anziehen (inzwischen sind es etwa 700 000). Und die brauchten Nahrung. Mit einer großen, auf die Bedürfnisse der Städter zugeschnittenen Farmproduktion würde viel Geld zu verdienen sein. Darüber sprach er mit Mutter.
Vaters Idee von einer großen Farm stieß bei ihr auf offene Ohren. Gemeinsam besahen sie sich das Projekt in Jeba und Mutter war von der Lage und dem fruchtbaren Boden begeistert. Abgesehen davon ist das leicht hügelige, weite Land zum Verlieben schön. Die Farm wurde mit Mutters Geld gekauft, Eigentümer wurde allerdings mein Vater, der eine andere Familie dorthin schickte, um die Farm aufzubauen. Meine Mutter durfte lediglich wochenweise nach Jeba reisen.
Als die Sache mit Jeba begann, erfuhr ich davon natürlich kein Wort. Später verteidigte Mutter Papa Davids Vorgehen: „Es hätte nicht afrikanischen Sitten entsprochen, wenn ich fortgegangen wäre.“ Bei ihrem zweiten Deutschlandbesuch erstand Mutter landwirtschaftliches Gerät. All das verschlang zwar einen Großteil des Erbes, brachte aber nicht den von Papa David erhofften Gewinn. Was ihn seine Meinung über „afrikanische Sitten“
offensichtlich ändern ließ. Soweit ich weiß, war meine Mutter die einzige Frau, der mein Vater überhaupt erlaubte, den Harem auf längere Zeit zu verlassen, um für ihn jenseits der hohen Mauern Aufgaben zu übernehmen. Es muss wohl an dem drohenden Niedergang der Farm gelegen haben.
Später fand Mutter mir gegenüber auch dafür eine vertretbare Begründung: „Ich befand mich nun wirklich in der Menopause. Eine Frau, die keine Kinder mehr bekommen kann, darf ihren eigenen Geschäften nachgehen.“ In der Tat beginnt die Zeit selbst bestimmten Frauenlebens nach Ansicht nigerianischer Männer erst mit Mitte 40. Mutter war damals, Anfang 1984, knapp 50 Jahre alt.
Ich war fast acht, als meine Mutter mir eröffnete, dass wir den Harem verlassen würden, um in Jeba zu leben. Natürlich hätte ich am liebsten geweint und geschrien, dass ich nicht fort will von meinen Mamas und Schwestern, dass ich mein Zuhause liebe, meine Schule. Meine kleine, so vollkommen erscheinende Welt. Aber ich bin so erzogen worden, niemals einer meiner Mamas zu widersprechen. Es war höchstens erlaubt, respektvoll zu fragen, warum etwas geschah oder warum eine Erwachsene etwas für richtig hielt. Die Erwachsenen wiederum hatten das zu respektieren und vernünftige Begründungen zu geben.
Das taten auch alle; sie nahmen uns Kinder für voll.
Meine Mutter erklärte mir geduldig die Gründe für den bevorstehenden Auszug aus dem Harem. Sie sprach von der Aufgabe der Farm, den Menschen Nahrung zu verschaffen, von der Arbeit des damaligen Verwalters, der sich mit den teuren deutschen Geräten nicht auskannte, so dass ständig etwas kaputt ging und die Farm daher hoch verschuldet war. Sie sagte, Papa David habe deshalb entschieden, dass sie die Leitung Jebas übernehmen sollte. Da das aber bedeutet hätte, dass sie und ich ganz getrennt gewesen wären, hatte Vater ihr erlaubt, mich mit nach Jeba zu nehmen.
„Warum darf Mama Bisi nicht mitkommen? Sie macht alle Pflanzen gesund!
Und Mama Ada? Sie ist stark und kann bestimmt Häuser bauen!“, protestierte ich. Als Kind griff ich somit in das Schicksal meiner Mamas ein. Ich wollte sie um mich haben, denn ich hing an ihnen wie an meiner leiblichen Mutter. Bisi musste nicht lange überredet werden! Sie freute sich, uns begleiten zu dürfen.
Mama Bisis Töchter Jem und Efe, inzwischen zwölf und zehn, kamen sogar auch mit. Mama Ada war gerade schwanger geworden, weshalb auch sie mitreisen durfte.
Allerdings behielten Mutter, Ada und Bisi auch während ihrer Abwesenheit vom Harem ihre Räume. Alles andere hätte bedeutet, dass Papa David sie - so wie die ungehorsame Mama Idu Jahre zuvor - verstoßen
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