02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
möglich gewesen wäre, denn ich hatte keinerlei Personaldokumente: Mein Vater hat meine Geburt niemals offiziell gemeldet.
Das allerdings war gar nicht der wirkliche Grund, wie Mutter mir wesentlich später gestand: Papa David hatte Sorge, dass wir beide nicht wieder nach Nigeria zurückkommen würden. Blieb ich allerdings im Harem, würde seine 33.
Frau das niemals wagen.
„Hatte Papa David denn Grund zu dieser Sorge?“, fragte ich meine Mutter, als ich selbst schon erwachsen war.
„Ich liebte deinen Vater und hatte mich im Harem gut eingelebt. Also sah ich überhaupt keinen Anlass, wieder in Deutschland zu wohnen. Noch dazu, wo dein Vater im Begriff war, ein neues Farmprojekt aufzuziehen, das ich mitgestalten konnte.“
Mutter reiste allein. Per Testament hatte Oma Maria das Erbe zwischen Onkel Xaver und meiner Mutter geteilt. Der Onkel bekam natürlich den Hof, meiner Mutter wurden Wiesen und Felder vermacht. Sie hatte mit keinem großen Erbe gerechnet. Doch in Bayern wurde ihr eröffnet, dass auf dem scheinbar wertlosen Land ein großer Golfplatz angelegt werden sollte. Nun waren die „sauren Wiesen“ ein Vermögen wert, und das wollte man der „Ehebrecherin“ nicht kampflos überlassen. Statt wie geplant zwei Wochen blieb Mutter drei Monate lang in Deutschland.
Als sie zurückkam, brachte sie mir einen Karton voll Grassamen mit. Mama Bisi grub für mich ein vier mal vier Meter großes Stückchen harten Boden um, das zwischen unserem Haus und dem Garagengebäude der Autos lag. Dann streuten wir die deutschen Grassamen darauf. Daraus wollte ich Magdalenas Deutschland erstehen lassen. Ich hatte dafür zu sorgen, dass dieser kleine Flecken Erde immer feucht war. Und das war in der langen regenarmen Zeit nicht gerade einfach. Dreimal am Tag begoss ich den immer wieder austrocknenden Boden! Mutter hatte mir gesagt, dass aus dem Samen eine bayerische Wiese erwachsen würde, wie es welche bei ihr zu Hause gab. Ich ordnete rings um meine künftige Wiese eine Markierung aus Steinen und freute mich, als sich darin ein leichter grüner Flaum bildete.
Natürlich hatte ich angenommen, dass wir auch in Afrika irgendwann diese weißen Blumen haben würden, aus denen Magdalena den Kranz geflochten hatte, mit dem ich sie auf dem Bild im Schlafzimmer sah. Doch trotz all meiner Fürsorge spross keine einzige Margerite. Das Gras war anfangs zwar weich, bildete aber bald gelbe Spitzen. Dann wurde ich krank, kümmerte mich eine Woche lang nicht um mein kleines Stück Deutschland - und von meinem Traum waren nur noch vertrocknete, harte Gräser im rissigen Boden übrig. Magdalenas Land war von der afrikanischen Sonne aufgefressen worden. So viel Wasser ich auch darauf kippte, mehr als ein paar spärliche Halme ließen sich nicht blicken.
Und denen machte schließlich eine Ziege den Garaus.
Mutter nahm mich tröstend in den Arm. „Wenn ich das nächste Mal nach Deutschland fahre, nehme ich dich mit.
Dann kannst du über eine richtige Wiese laufen. Stundenlang“, versprach sie mir.
Sie fuhr zwar ein Jahr später wieder in ihre Heimat, doch mitnehmen durfte sie mich auch diesmal nicht. Ob dieses Misstrauen, das Vater ihr unterschwellig entgegenbrachte, die Beziehung der beiden belastete, kann ich nicht sagen.
Anmerken ließ sich Mutter es jedenfalls nicht. Andererseits war es ihr wichtig, dass ich wusste, dass ein Teil meiner Wurzeln in Deutschland liegt.
Daher hatte sie schon zeitig damit begonnen, mir Deutschunterricht zu geben.
Sie brachte mir zahlreiche Kinderlieder bei, später deutsche Gedichte, die sie aus den deutschen Büchern, die sie von ihrem zweiten Besuch in einer großen Kiste mitbrachte, gemeinsam mit mir auswendig lernte. Meine Lieblingsschwestern Efe und Jem lachten mich damals oft aus, wenn ich mal wieder irgendwelche für sie unverständliche Verse vor mich hin brummelte. Ich war jedoch unglaublich stolz darauf. Ich habe sie trotzdem alle vergessen. Nur noch an eines erinnere ich mich: Wer reitet so spät durch Nacht und Wind ..
Weil es so schön gruselig ist. Kinderlieder konnte ich mir besser merken: Ein Männlein steht im Walde, ganz still und stumm .. Immer wieder übte Mutter mit mir das deutsche Ä. Heute kann mein kleiner Sohn Joshua dies Lied auch. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob er weiß, was er da singt.
In dieser Zeit, zwischen meinem fünften und achten Lebensjahr, begann meine Mutter sich ihren sehnsüchtigen Wunsch nach einem Landleben zu erfüllen.
Dazu kamen zwei Dinge
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