02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
irgendwo herumlaufenden Kinder.
Eigenhändig unterbrach Papa David die Stromversorgung des Geräts. Alle schrien durcheinander! Es war ein unglaublicher Aufstand. Vater stand inmitten der queens in ihren weißen Gewändern, die wild mit den Armen herumfuchtelten. Sie sahen aus wie aufgescheuchte große Vögel. Keine Ahnung, ob Vater irgendwas sagte; man hätte es sowieso nicht verstanden.
Plötzlich schnappte er sich einen der herumstehenden Stühle, trug ihn zur Außenmauer, schleppte den Fernseher ebenfalls dorthin, wuchtete ihn hoch -
und warf ihn über die Mauer. Wir hörten erst einen Knall und sahen dann Rauch aufsteigen. Alle starrten Papa David mit offenen Mündern an. Und diesen Moment werde auch ich niemals vergessen: Er, der immer so distanziert war, sich würdevoll gab, hatte ein Problem ganz handgreiflich gelöst..
In das entstandene Schweigen hinein sagte er: „Gottes Wort kommt nicht aus einem solchen Kasten. Nur der Teufel spricht daraus in seinen vielen Zungen zu euch.“
Mama Idu, damals etwa so alt wie ich heute, schob sich durch die anderen Frauen hindurch. Trotzig trat sie Papa David entgegen. Zwei queens versuchten sie zurückzuhalten, aber sie tippte mit ausgestrecktem Zeigefinger gegen Vaters Brust: „Was redest du da? Es war nicht das Wort des Teufels, dem wir zuhörten!“
Idu hatte es gewagt, Vater zu widersprechen! Eisige Stille legte sich über alle.
Papa David blieb ganz ruhig. „Hat dich dein Vater nicht gelehrt, deinem Mann zu gehorchen?“, fragte er.
Ihre Freundinnen wollten Mama Idu fortziehen, denn sie hatte etwas absolut Verbotenes getan. Papa Davids Wort war Gesetz, niemand wagte je, es anzuzweifeln. Doch Idu schien das ziemlich egal zu sein. „Ich bin zu jung, um von der Welt da draußen ausgeschlossen zu sein!“, fauchte sie.
Ich war damals noch klein und hatte nicht die geringste Ahnung, wovon Mama Idu sprach. (Auch später habe ich niemals eine queen sich derart abfällig über den Harem äußern hören.) Nur an der Reaktion der anderen Frauen und meiner älteren Schwestern konnte ich erkennen, dass Idu einen furchtbaren Fehler begangen hatte. Kein Mensch sagte mehr ein Wort.
Papa David sah jede Einzelne an: „Versteht ihr jetzt, was ich meine? Aus Mama Idu spricht der Teufel. Sie versündigt sich nicht nur gegen ihren Mann, sondern auch gegen unsere Gemeinschaft. Für sie ist in unserer Mitte kein Platz mehr.“
Plötzlich blieb Vaters Blick auf mir haften. Mein Herz setzte vor Schreck einen Schlag aus. Ich glaubte, er wollte mich jetzt auch bestrafen, weil ich ebenfalls der Stimme des Teufels gelauscht hatte. „Choga, lauf zu Mama Patty und Mama Felicitas. Sie sollen kommen und Idus Sachen zusammenpacken. Idu verlässt uns noch heute.“
So schnell ich konnte, raste ich aus dem Hof hinaus, um die beiden ältesten Mamas zu alarmieren. Die waren gerade damit beschäftigt, gemeinsam mit meiner Mutter irgendwelche Schreibarbeiten zu erledigen. Sie ließen alles stehen und liegen und eilten hinüber zum Schauplatz des Geschehens. Ich wollte sie begleiten, aber Mutter verbot es mir. So habe ich Idus Abschied nicht miterlebt. Meine älteren sisters, die dabei waren, erzählten, dass Idu um Verzeihung und Gnade gebettelt habe. Vergeblich. Ihren damals erst vierjährigen Sohn musste die Rebellin im Harem zurücklassen; er gehörte zu seinem Vater.
Damals konnte ich mir nicht ausmalen, welches Leben Idu erwartete, wenn sie die hohen Mauern verließ, die ich damals als Schutz empfand und gegen die sie aufbegehrte. Idu habe ich erst fast zehn Jahre später wieder getroffen. Leider -
wie ich heute sagen muss. Denn während der schweren Zeit, die sie nach ihrem Rauswurf durchmachte, traf sie irgendwann auf jenen, den Vater mit seinem eindrucksvollen Auftritt aus dem Harem verbannen wollte: den Teufel.
Papa David unternahm alles, um uns im Harem vor der Welt draußen zu beschützen. Zumindest, was geistiges Gut betraf. Materielles dagegen vermochte die Glasscherben bewehrte Mauer durchaus zu überwinden: Nigeria hatte sich dank des Öls zu einem wohlhabenden Land entwickelt und der Reichtum ging auch an unserer behüteten Welt nicht spurlos vorüber. Die Frauen, die Vater heiratete, brachten immer wertvollere Gegenstände mit. Damit sich niemand benachteiligt fühlte, hatte Vater irgendwann dafür zu sorgen, dass überall Kühlschränke standen, wenn mehrere queens dies wünschten. Als Deckenventilatoren in Mode kamen, wurden auch die in allen Schlafzimmern
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