02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
angebracht. Zwei Jahre nach Idus Rauswurf konnte er sich auch der Fernsehwelt nicht länger entgegenstellen. Er setzte allerdings durch, dass nur zwei Stunden pro Tag geguckt werden durfte. Und zwar ausschließlich Lernprogramme, für die ich mich aber ebenso wenig interessierte wie die anderen Kinder.
Etwa zu der Zeit, als Vater den Fernseher über die Mauer schleuderte, sollte ich zum ersten Mal den Harem verlassen. Der Grund war mein Humpeln, das nun nicht mehr zu übersehen war. Eines Tages putzte mich Mutter heraus und führte mich zu einem von Vaters großen Autos. Erst am Wagen stellte ich fest, dass sehr wohl auch Männer für Vater arbeiteten und in der Nähe des Harems wohnten - seine (und unsere) Leibwache.
Vom Treppenabsatz, auf dem wir spielten, hatte ich zwar schon öfters die breite Straße vor unserem Harem gesehen, doch als wir über den staubigen Belag fuhren, sagte ich laut, was ich dachte: „Hier ist es aber schmutzig.“
Mutter nahm meine Hand, hielt sie fest und sagte: „So ist die Welt nun einmal, Choga Regina.“
Wir mussten ziemlich weit fahren, in eine ganz andere Gegend, in der keine hohen Mauern um die Häuser errichtet waren. Dort lagen kranke Menschen auf den Straßen, dreckiges Wasser sammelte sich in stinkenden offenen Kanälen.
Ich war schockiert; wie wunderbar wir es doch in Vaters großem Compound hatten!
Mutter hatte veranlasst, dass ich im Haus ihrer Freundin Amara einer indischen Ärztin vorgestellt wurde. Amara kannte ich von deren gelegentlichen Besuchen im Harem. Vater hätte nie zugelassen, dass ich die Praxis eines normalen Arztes aufsuchte. Deshalb die umständliche Vorgehensweise, mich zu Amara bringen zu lassen, wohin die Ärztin schließlich kam. Sie untersuchte mich in Mutters und Amaras Gegenwart. Keine Ahnung, was sie herausfand; zu diesem Zeitpunkt interessierte es mich ja auch nicht.
Viel beunruhigender fand ich, dass es bei Amara so ganz anders aussah als im Harem. Dass die Fenster vor unseren Zimmern vergittert waren, das war für mich stets eine Selbstverständlichkeit gewesen. Erst, als ich das Haus von Amara sah und bemerkte, dass sie keine Gitter an den Fenstern hatte, fiel es mir auf.
„Bei dir ist es aber hässlich“, sagte ich unbedacht zu ihr. Sie erzählte mir diese Geschichte noch Jahre später immer wieder, als ich bei ihr wohnte. Heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, dass ich es einmal schön gefunden habe, so eingesperrt zu leben. Aber es war auch ein anderes Leben, als unschuldiges Kind, das sich freute, mit seiner Mutter hinter die hohen Mauern zurückkehren zu dürfen. Eben weil dort diese Gitter, die hohen Mauern und die Scherben waren, von denen ich glaubte, dass sie mich vor der Welt draußen beschützten.
Heute denke ich, dass auch goldene Gitter bleiben, was sie sind - Gitter. Mein Vater begründete die Sicherheitsmaßnahmen so: „Die Art, wie wir leben, wird von vielen Menschen mit Misstrauen betrachtet. Sie verstehen nicht, dass unsere Familie etwas Besonderes ist, in der einer für den anderen da ist. Nur so gewinnen wir die Kraft, um anderen helfen zu können. Draußen in der Stadt herrscht ein ausgeprägter Egoismus, der den Menschen das Leben verdirbt.
Davor müssen wir uns schützen.“ Nachdem ich das Elend der Riesenstadt gesehen hatte, konnte ich seine Worte kaum in Zweifel ziehen.
Mutter war durch den Besuch bei Amara aufgefallen, dass ich viel zu große Angst vor dem Leben „draußen“ hatte. Wenn sie Amara besuchte, nahm sie mich daher seitdem gelegentlich mit. Erfolgreich war diese
„Therapie“ allerdings nicht. Wahrscheinlich begann sie deshalb, mir mehr von dem Leben zu erzählen, das sie früher geführt hatte, in Deutschland, auf einem Bauernhof mit grünen Wiesen ringsum. Von einem fremden Land mit Bergen, auf denen Schnee lag, von Kindern, die im Winter mit einem Schlitten fuhren.
Ob sie sich danach gesehnt hat? Ja, aber sie fand einen Weg, ihre Sehnsucht zu stillen.
Eine Sehnsucht
In meinen Träumen versuchte ich mir manchmal vorzustellen, wie es dort aussehen mochte, wo meine Schwester Magdalena lebte. Allerdings wusste ich nicht einmal, wie sich grünes Gras anfühlte!
„Soll ich dir welches besorgen?“, fragte Mutter, als ich etwa vier Jahre alt war.
„Wo gibt es denn Gras?“
„Ich werde dir Grassamen aus Deutschland mitbringen.“
„Ich will auch nach Deutschland!“, rief ich.
Diesen Wunsch wollte meine Mutter mir jedoch nicht erfüllen. Heute weiß ich, dass es auch gar nicht
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