02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
Schlaf finden, wenn ganz in der Nähe das beängstigende Geheul der Meute zu hören war. Außerdem gelten Hunde als schmutzige und nutzlose Tiere, die niemandem einen Gewinn bringen, anders als Ziegen oder Hühner.
Trotzdem gab es auf unserer Farm einen Hund und der war sogar geachtet. Er war nämlich sehr nützlich, weil er eine ganz besondere Gabe hatte: Corn jagte Schlangen. Irgendeiner seiner Vorbesitzer hatte dem Hund diese Fähigkeit wohl beigebracht. Seinen Namen verdankte Corn übrigens der Farbe seines Fells; er war so gelb wie reifes Getreide.
Da ich vor allem Angst hatte, was ich nicht aus dem Harem in Lagos kannte, fürchtete ich mich auch vor Corn, denn ich war zu jung, um den Unterschied zwischen einem streunenden und einem zahmen Haushund erkennen zu können.
Daher ging ich dem Hund nach Möglichkeit aus dem Weg. Wir wussten wenig über Corns früheres Leben. Aber Papa Udoka hatte das Tier nach Auskunft von Mama Funke ganz offensichtlich dazu abgerichtet, immer in der Nähe der kleinen Kinder zu bleiben. Wenn eines schrie, dauerte es keine fünf Sekunden und Corn war zur Stelle. Die Nase am Boden suchte er dann die Umgebung ab, ob er irgendwo eine Schlange
entdecken konnte. Und einmal fand er tatsächlich eine. Zufällig war Okereke gerade in der Nähe und sah alles mit an: Corn stürzte sich blitzschnell auf die Schlange, biss sie direkt hinter den Kopf, wirbelte sie herum und machte ihr so den Garaus.
„Noch ist er nicht zu alt für die Schlangenjagd“, sagte Okereke, „aber wenn er ein bisschen langsamer wird, ist irgendwann eine Schlange schneller als er.“
„Und was passiert dann?“, fragte ich.
„Man wird einen neuen Hund holen oder selbst auf die Schlangen achten müssen“, antwortete der alte Lehrer. Dann überlegte er laut: „Es wäre vielleicht eine gute Idee, einen zweiten Hund zu besorgen. Vielleicht kann Corn ihn anlernen, bevor es zu spät ist.“
Ich sah Okereke mit großen Augen an: „Du meinst, Corn wird nicht besonders alt werden?“
Der Mann nickte: „Das ist nun mal der Lauf der Welt. Ein Hund ist kein Mensch.“
Ich blickte die kleine Sue neben mir an und dann den Hund. Ich dachte an Mama Bisis Orakel und daran, dass wir auf Sue gut aufpassen mussten.
Von diesem Tag an sah ich Corn mit anderen Augen. Ich fing an, mit ihm zu spielen, und er begleitete Sue und mich überall hin. Als Mama Bisi sagte, dass der Hund ungepflegt sei und deshalb nicht ins Haus dürfe, befragte ich Mutter so lange, bis sie mir erklärte, wie man einem Hund kämmt und von Ungeziefer befreit. Mutter mochte Corn; sie hatte in Deutschland auf dem Brunnerhof stets Hunde gehabt. Allerdings war Corn für sie genauso wie für alle anderen ein Tier mit einer Aufgabe. Doch ich stellte fest, dass ein Hund wie eine Freundin sein kann, an die man sich kuschelt. Trotzdem blieben meine Mamas der Meinung, dass er nicht ins Haus durfte. Sie fürchteten, ich würde den Hund wie einen Menschen behandeln und ihn so um seine Jagdinstinkte bringen. Lediglich Efe und Jem unterstützten meine Bestre-bungen - wir drei hielten nach wie vor zusammen -, doch leider ohne Erfolg.
Von Corns Nachtleben bekam ich nur dann etwas mit, wenn der Schlangenhund mal wieder eine frische Bisswunde hatte, die er sich bei einer Auseinandersetzung mit den Streunern zugezogen hatte. Mama Bisi gab mir dann eine ihrer Tinkturen und ich behandelte den tapferen Kämpfer, während ich ihm Mut zusprach. Zum Dank blieb Corn stets in meiner Nähe. Als ich eines Nachts vom Geheul der anderen Hunde erwachte, öffnete ich das Fenster und sah in die schwarze Nacht hinaus. Da erregte ein sanftes Fiepen meine Aufmerksamkeit: Corn saß unter meinem Fenster. Er hatte Wache gehalten.
Beruhigt legte ich mich wieder hin.
Dann wurde ich wieder einmal sehr krank. Mutter sagte immer, dass ich durch das Leben in der Stadt zu empfindlich geworden sei und deshalb anfällig für jede kleine Krankheit. Ich lag mit hohem Fieber auf der Schlafmatte am Boden.
Efe sah hin und wieder nach mir, machte mir kalte Wadenwickel und flößte mir Mama Bisis selbst hergestellte Medizin ein. Mittags war es drückend heiß in meinem Zimmer. Auf der Farm hatten wir nicht den Komfort eines Deckenventilators, wie ich ihn aus dem Harem in Lagos kannte. Obendrein musste das Fenster geschlossen bleiben, damit kein Ungeziefer hereinkommen konnte. Ich flehte Mutter an, die mir gerade aus deutschen Märchenbüchern vorlas, das Fenster zu öffnen. Nach langem Betteln gab sie
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