02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
Er hatte sich seine Nahrung immer selbst gesucht; ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht, wie er das anstellte. Hundefutter gab es sowieso nicht; dass man in Deutschland so etwas kannte, erfuhr ich erst viel später durch Mutter. Aber es war selbst mir als Neunjähriger klar, dass er in diesem Zustand niemals mehr auf die Jagd gehen konnte.
Am nächsten Tag fand Okereke mich, wie ich neben dem kraftlosen Corn kauerte. „Wenn du willst, dass der Hund wieder laufen lernt, dann darfst du ihn nicht länger verhätscheln“, sagte er. „ Steh auf und ruf ihn, versuch ihn aufzumuntern.“ Ich versuchte Corn mit einem Stock zu locken, doch er blickte dem Spielzeug nur ratlos nach. Schließlich suchte ich Hilfe bei Mama Bisi, fragte, ob sie nicht eine Medizin hätte.
„Versuchen kann ich es ja mal“, meinte sie. „Wenn es Gottes Wille ist, dann wird der Hund überleben.“
Mutter gab mir für Corn Essensreste, heimlich natürlich, weil wir selbst nicht besonders viel hatten. Es waren vor allem gekochte Yamswurzeln mit winzigen Brocken Fleisch, unter die Mama Bisi ihre Medizin mengte. Hin und wieder bekam er einen Knochen. Allmählich versuchte Corn tatsächlich aufzustehen. Er war ein sehr starker Hund mit kräftiger Beinmuskulatur. Als der Verband nach Wochen entfernt wurde, hatte sich mein Liebling schon an sein Schicksal gewöhnt. Es gelang ihm bald, mit drei Beinen zu laufen. Nicht sehr schnell, eben so wie ich, wenn mir meine Hüfte wieder einmal sehr weh tat.
Corn wich nicht mehr von meiner Seite. Wir beide waren wohl ein besonderes Paar, wenn wir abends gemeinsam vom Feld zurück zum Haus humpelten.
Niemand verlangte mehr von ihm, nachts draußen zu schlafen, wo die Hunderudel umherzogen. Gegen die hätte er keine Chance gehabt. Er durfte sich an meinem Fußende zusammenrollen. Heulten draußen seine Artgenossen, schrak er manchmal hoch und jaulte im Traum kurz auf, drehte sich dann im Kreis und kuschelte seine Nase wieder ins Fell.
„Wen Gott liebt, den lässt er nicht im Stich“, sagte Okereke.
„Siehst du, Gott liebt auch Hunde, obwohl sie keine Menschen sind“, antwortete ich.
„Es war gut, dass du für deinen Lebensretter gekämpft hast. Wenn ich ihn getötet hätte, hätte ich mich an Gott versündigt. Ich habe etwas von dir gelernt, mein Kind“, sagte mein alter Lehrer und strich mir sanft über den Kopf, „vor Gott ist jedes Lebewesen gleich.“
Am nächsten Sonntag durfte Okereke vor allen die Ansprache halten. Er erzählte die Geschichte von Corn und mir. Unser kleiner Hund war danach überall bekannt. Niemand wagte es mehr, den dreibeinigen Hund zu verspotten oder gar Steine nach ihm zu werfen, denen das arme Tier nicht entkommen konnte.
Manchmal kamen Frauen vorbei, nur um Corn zu streicheln. Die Menschen hielten ihn für einen Glücksbringer, weil Gott ihn beschützte. Einige Zeit später hörte ich von einer weiter entfernt gelegenen Farm, die ebenfalls einen so genannten Schlangenhund hielt, dass auch ihrer gebissen worden war. Entgegen der Sitte, ein nutzloses Tier zu töten, hatten auch die Nachbarn ihren Hund nicht erschossen, sondern ihn gesund gepflegt wie wir unseren Corn.
Das Herz eines Vaters
Als ich eines Nachmittags von einem der Felder zurückkam, sah ich Mutter und Mama Bisi schon von weitem. Sie standen nebeneinander vor der Veranda. Es war später Nachmittag, die Sonne glühte intensiv, die Luft über der warmen Erde flirrte. Ich sagte zu Mama Ada, die neben mir herging und einen ausladenden Korb mit Mais auf dem Kopf trug, dass die beiden Mamas zu einer Person zu verschmelzen schienen, mit zwei Köpfen. Ich selbst trug die kleine Sue auf den Rücken gebunden mit mir und hielt mit einer Hand einen wesentlich kleineren Korb auf dem Kopf fest, damit er nicht hinunterfiel. Es gelang mir nie, etwas freihändig auf dem Kopf zu balancieren wie die Erwachsenen und viele meiner Schwestern - mein Beinproblem ließ und lässt mich noch heute ständig von einer Seite auf die andere schwanken. Die kleine Sue fand das ganz lustig und wollte immer viel lieber von mir getragen werden als von ihrer kerzengerade ein-herschreitenden Mama. An meiner Seite humpelte Corn, dem die Zunge hechelnd aus dem Maul hing.
Wortlos nahm Mutter mir meinen Korb ab. Sie verwöhnte mich selten mit Zärtlichkeit. Diese Aufmerksamkeit war schon sehr viel. Und dann strich sie mir flüchtig über die staubigen Zöpfe.
„Du bist sehr tapfer, Choga“, sagte Mutter.
Ich blickte zu ihr auf und war
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