02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
endlich nach.
Irgendwann schlief ich wohl ein. Ich träumte wirren Unsinn, und als ich erwachte, war Mutter nicht mehr im Zimmer.
Plötzlich nahm ich eine langsame, kriechende Bewegung wahr. Durch das weit offen stehende Fenster wand sich ein langer, dunkler Körper. Bevor ich realisieren konnte, dass es eine Schlange war, ließ sie sich schon mit einem leisen Klacken auf den Boden fallen. Ich setzte mich auf und starrte das etwa anderthalb Meter lange Tier an, das sich auf mich zubewegte. Es war direkt zwischen dem Fenster und mir, auf der anderen Seite befand sich die Wand. Ich konnte nirgendwohin entkommen. Die Schlange hob ihren Kopf, züngelte suchend nach meinem heißen Körper.
Nach einer langen Schrecksekunde schrie ich gellend los: „Mama!“
Die Schlange bewegte sich nun nicht mehr. Ich sah zur Tür, aber niemand kam.
Das machte dem Biest wohl Mut, seinen Angriff fortzusetzen. Ohne nachzudenken, formte mein Mund einen hellen, aufgeregten Schrei: „Corn!
Komm schnell!“
Vielleicht hatte der Hund schon meinen ersten Hilferuf richtig verstanden, denn wie der Blitz sprang er über die niedrige Fensterbank und stürzte sich auf die Schlange. Alles ging so rasend schnell; ich sah nur ein Bündel Fell über den Boden toben. Nach wenigen Augenblicken war es wieder still. Corns bernsteinfarbene Augen blickten mich an, so, als wollte er fragen: Bist du okay?
Zwischen seinen Beinen lag der tote Leib der Schlange.
„Komm her!“, rief ich atemlos und umarmte meinen Lebensretter. Aber irgendetwas stimmte nicht mit Corn. Er krümmte sich auf dem Boden und knabberte an seinem Hinterbein. Schlagartig kamen mir Okerekes Worte in den Kopf, dass irgendwann eine Schlange schneller als der Hund sein würde. Ich bog den Kopf des Hundes zurück und näherte mich der Stelle, an der er herumgebissen hatte. In seinem kurzen Fell erkannte ich deutlich zwei kleine, an den Rändern ausgefranste Punkte - den Abdruck der Giftzähne!
Ich schrie wie noch nie in meinem Leben um Hilfe. Mein Lebensretter durfte nicht sterben! Mutter kam als Erste ins Zimmer gestürmt, dann Bisi, schließlich Okereke. Der alte Lehrer beugte sich über den Hund und schüttelte den Kopf.
„Ich nehme Corn besser mit“, sagte er.
„Was tust du mit ihm?“
„Ich werde ihm helfen, dass er nicht unnötig leiden muss.“
„Nein!“ Ich rappelte mich hoch, verstellte Okereke, der den Hund schon auf dem Arm hatte, um ihn hinauszutragen, den Weg. „Corn darf nicht sterben.“
„Wir können ihn nicht retten“, sagte der Lehrer.
Ich drehte mich zu Mutter: „Mama, bitte, er hat mir das Leben gerettet. Du kannst doch bestimmt etwas tun!“ Mein Kreislauf war zu schwach, ich konnte mich kaum aufrecht halten und fiel schließlich gegen meine Mutter, die mich auffing.
„Es gibt nur eine Möglichkeit“, meinte Mutter. Sie nahm ihr Kopftuch vom Kopf und band Corns Bein am Ansatz ab. Als sie die Enden fest zuzog, jaulte der Hund auf.
„Mit drei Beinen hat das Tier keine Chance, Mitfrau Lisa“, sagte Mama Bisi gefasst.
„Drei Beine?“, stammelte ich.
„Wenn, dann müssten wir ihm eines amputieren, und zwar unverzüglich“, entgegnete Mutter. „Er stirbt sonst unter furchtbaren Qualen.“
Ich riss mich von ihr los, stürzte auf Corn zu und streichelte ihn. Er hechelte bereits kurzatmig, sein Fell war schweißnass.
„Dann aber schnell“, entschied Bisi. Sie befahl mir, mich wieder hinzulegen.
Mit raschen Schritten trug Okereke den Hund nach draußen, Mutter folgte ihm, während Mama Bisi die Schlange packte. Sie war schon fast aus dem Zimmer, als sie zurückkam, um das Fenster wortlos zu schließen.
Wenig später hörte ich einen markerschütternden, kurzen Schrei. Dann herrschte schreckliche Stille. Ich presste die Augenlider zu und begann zu schluchzen.
Corn sah ich erst über eine Woche später wieder, als es mir etwas besser ging und ich aufstehen konnte. Sein Anblick versetzte mir einen Stich ins Herz. Sein Körper war dick verbunden, um den Kopf trug er einen Beißschutz, damit er sich nicht seine Wunde lecken konnte. Ich bettete seinen Kopf in meinen Schoß und kraulte ihn stundenlang.
Irgendwann stand Mama Bisi vor mir: „Das ist doch kein Leben für einen Jagdhund, Choga. Willst du wirklich, dass er für immer leidet?“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mama Bisi schien Recht zu haben, mein Lebensretter stand überhaupt nicht mehr auf.
Ich legte ihn auf eine alte Decke, schob ihm Wasser hin. Was sollte Corn fressen?
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