02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
Winkel der großen Anlage kannte ich in- und auswendig; dies war lange mein Zuhause gewesen. Aber die Angst, hier unter völlig anderen Bedingungen leben zu müssen, lähmte mich trotz aller Kraft, die meine drei Mamas ausstrahlten. Noch zu frisch war die albtraumhafte Erinnerung an die letzten Monate auf der Farm. Meine Beine fühlten sich an wie Watte, drohten jeden Augenblick einzuknicken.
Aber verraten hat mich nicht meine Angst, sondern mein Gang. Er hob mich aus der Menge der unzähligen weiß gekleideten Menschen heraus.
„Choga!“ Der herrische Befehl ließ mich zusammenzucken. Die Stimme meines Mannes hätte ich aus allen anderen herausgehört. Verzweifelt versuchte ich weiterzugehen, aber meine Beine und meine gesamte angeschlagene Verfassung erlaubten keinen weiteren Schritt. Hätte sich doch einfach der Boden aufgetan und mich verschluckt!
Felix befand sich in Begleitung einiger Männer, die ich nicht kannte. „Wo willst du hin?“, fragte er. In seiner Stimme hörte ich diesen angriffslustigen Ton. „Die Trauerfeier findet im Gemeinschaftshaus statt und das liegt in der anderen Richtung.“
„Sie möchte sich von ihrem Vater verabschieden“, entgegnete meine Mutter mit fester Stimme.
„Dazu war gestern Gelegenheit. Ich möchte, dass Choga sich jetzt meinen Frauen anschließt, die das Fest vorbereiten.“
„Sie hat sich gestern den ganzen Tag über ausgeruht. Meiner Tochter geht es nicht gut“, startete Mutter einen neuen Versuch. Aber ich spürte, dass es sie jede Menge Beherrschung kostete, ruhig zu bleiben.
„Die anderen haben die gleiche Fahrt hinter sich wie sie. Ich dulde keine Sonderbehandlung deiner Tochter!“
Mama Ada, die etwa die Größe von Felix hatte, schob ihren muskulösen Körper vor mich. „Dir ist deine Eitelkeit wohl wichtiger als der Schmerz einer Tochter um den Verlust ihres Vaters?“ Meine Patentante musterte den neuen Führer der Familie von oben bis unten. „Glaubst du, dass die Menschen vor einem Mann Respekt haben, der das Andenken eines Toten so wenig achtet?“
„Du wählst starke Worte, Mama Ada. Wir werden noch miteinander zu reden haben.“ Er schickte einen giftigen Blick zu Mutter und Mama Bisi. „Ihr seid keine queens mehr. Diese Rolle wird meinen Frauen künftig zufallen.“ Dann beugte er sich zu mir hinunter. „Und meine queens wissen doch, wie sie sich benehmen müssen, nicht wahr, Choga?“ Ich schob mich noch weiter hinter Mama Adas Rücken. Zweimal hatten mich die Schläge dieses Mannes schon unvorbereitet getroffen. „In zehn Minuten sehe ich dich im Gemeinschaftshaus!“, fauchte Felix. Dann legte er eine Hand vertraulich auf die Schulter
eines seiner Begleiter. Die Menge wich vor dem neuen Familienoberhaupt ehrfürchtig zur Seite.
Als wir uns in Richtung von Vaters Haus wandten, erhaschte ich die vernichtenden Blicke unter den Schleiern meiner Mitfrauen, die hinter Felix herliefen. Einzig meine Zimmergefährtin Rhoda zupfte mich am Ärmel: „Du musst besser auf dich aufpassen. Unser Mann war sehr verärgert. Er hat dich gestern gesucht“, sagte sie in ihrer Sprache, die ich inzwischen verstand. „Ich halte dir im Gemeinschaftshaus den Platz neben mir frei.“
Es war das erste Mal, dass Rhoda mir gegenüber eine mitfühlende Regung zeigte. Ich umarmte sie. Die Frau wusste nicht, dass ich ihr insgeheim dabei alles Gute für ihr Leben wünschte. Denn diese letzte Begegnung mit Felix hatte in mir jeden Zweifel beseitigt. Meine Flucht war die einzige Möglichkeit. Ich ertrug den Anblick jenes Mannes nicht, den ich niemals so angesprochen hatte, wie er es erwartete: mein Mann.
In dem kühlen Raum, in dem Papa David in den letzten Stunden noch lag, bevor er in seinem Grab hinter dem Haus zur ewigen Ruhe gebettet wurde, waren nur Mama Patty und Mama Felicitas. Die beiden waren allerdings nicht mehr ansprechbar. Mama Felicitas schlug seit zwei Tagen einen monotonen Rhythmus auf der Trommel, Mama Patty sang ununterbrochen Lieder, die zuversichtlich von Auferstehung und ewigem Leben handelten. Die beiden befanden sich in tiefer Trance.
Bei unserem Eintreten stimmten auch wir vier in die uns von zahlreichen Festen her bekannten Gesänge ein. Mit schweren Schritten näherte ich mich meinem Vater. In den prächtigsten Gewändern, die er je getragen hatte, lag er im offenen Sarg. Ich erkannte ihn kaum wieder. Das war nicht mehr der Mann, zu dem wir alle jahrzehntelang aufgeblickt hatten. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst.
So viel
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