02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
„Was glaubt ihr, wozu dieser Mann noch imstande ist?“
„Die andere Frage ist, ob die Polizei überhaupt ermitteln würde“, stellte Mama Ada sachlich fest. „In Jeba sind andere Gerichte zuständig als hier. Das kann lange dauern.“
„Und Choga Regina würde die ganze Zeit in Angst vor ihrem Mann leben. Ob mit Anzeige oder ohne.“ Mutter schüttelte energisch den Kopf. „Nein, diesen Gedanken müssen wir vergessen.“
„Es gibt mehr als nur die irdische Gerichtsbarkeit“, meinte Ada plötzlich nachdenklich. Es hörte sich so an, als ob sie noch heute darum beten würde, dass sich das Schicksal von Felix entsprechend erfüllen möge.
„Wir können aber doch nicht die Hände untätig in den Schoß legen!“, seufzte Mama Bisi.
Mutter sprach es als Erste aus: „Kind, du wirst nicht länger hier bleiben. Ich werde dich fortbringen.“
Mama Bisi nickte: „Und wenn es das Letzte ist, was wir tun werden.“
Mama Ada blickte die beiden an: „Ihr habt Recht. Aber wollt ihr mir mal sagen, wie? Die Tore sind alle verschlossen. Draußen stehen die Leibwachen. Felix will damit allen zeigen, dass er ein wichtiger und großer Mann ist. An denen kommt ihr nie vorbei. Außerdem ist Choga viel zu geschwächt!“
Mutter, Bisi und Ada hatten die Situation richtig eingeschätzt: Im Harem erwartete mich ein Leben in Angst. „Aber wo soll ich denn hin?“, fragte ich kläglich.
Mama Ada überlegte laut: „Es muss ein Ort sein, den Felix nicht kennt. Am besten so etwas wie unser Compound. Wo viele Frauen leben.
Da fällst du nicht auf.“
„Amara!“ Mutter sah ihre Freundinnen an. „Natürlich! Ich bin sicher, dass sie dich mit Freuden aufnimmt, mein Kind!“
Ada und Bisi blickten Mutter ratlos an. Im Gegensatz zu ihr und mir hatten sie die Heilerin noch nie besucht, wussten nicht mal, wo die alte Frau überhaupt wohnte.
„Ich werde versuchen, sie sofort anzurufen“, meinte Mutter, die ohne zu zögern die Initiative ergriff und hinauseilte. Das Telefon befand sich in Papa Davids Haus, wo er in jenem klimatisierten Raum aufgebahrt lag, in dem er auch gestorben war. Mama Bisi erzählte mir, dass Felix erst nach der Beerdigung, die am folgenden Tag stattfinden sollte, in Vaters Haus einziehen würde. Dort ans Telefon zu gelangen, schien somit nicht unmöglich zu sein. Während Mutters Abwesenheit schmiedeten Ada und Bisi bereits Fluchtpläne für mich.
Mama Bisi machte mir Mut: „In ein paar Stunden beginnt die Trauerfeier für Papa David. Es werden Hunderte von Menschen kommen. Felix wird keine Zeit haben, an dich zu denken, meine Kleine.“
„Am besten wäre der Eingang von Papa Davids Haus“, sagte Mama Ada. „Wir bringen dich dort gleich morgen früh hin. Du willst dich doch bestimmt in Ruhe von deinem Vater verabschieden.“
„Das würde ich ohnehin gern“, brachte ich vor. „Ich möchte ihn wirklich noch einmal sehen.“
Mama Ada wiederholte ihre Hauptsorge: „Aber vor dem Eingang werden Wachen stehen!“
„Wir geben ihnen etwas zu trinken. Ein Schlafmittel!“, rief Mama Bisi aufgeregt.
„Vielleicht“, meinte Ada, „die Frage ist nur, ob sie sich etwas zu trinken geben lassen.“
„Ach, Lisa fällt bestimmt etwas ein“, stöhnte Bisi verzweifelt.
Amara sei selbstverständlich zu allem bereit, berichtete Mutter eine halbe Stunde später. Sie und die Heilerin waren auf die gleiche Idee gekommen wie Ada und hatten auch eine Lösung für das Problem mit den Wachen parat. „Das sind kräftige Männer. Die sollen Amaras Gaben ins Haus tragen. Dabei werden wir sie ablenken.“
In der Nacht vor meiner Flucht tat ich trotz der Erschöpfung vor lauter Aufregung kaum ein Auge zu-. Mir graute vor allem vor dem weiten Weg zu Vaters Haus. Das Gehen bereitete mir schreckliche Schmerzen. Und dann die schlimmste aller Fragen: Was würde geschehen, wenn jemand meine Flucht entdeckte? Könnte ich dann überhaupt jemals aus dem Harem entkommen?
Gewiss würde Felix mich für immer wegsperren ..
Am Morgen war der Compound voller Menschen, die alle in Weiß gekleidet waren. Alle Frauen trugen Schleier, die nur die Augen frei ließen. Wir vier, die wir uns durch die Menge schoben, glaubten in diesem Gedränge nicht aufzufallen: Mutter, meine beiden Lieblingsmamas und ich. Nicht ein Stück meiner persönlichen Habe konnte ich mitnehmen. Nur mein Sonntagskleid, das ich auf dem Leib trug. Doch das war unwichtig, ich wollte nur noch das ungeborene Leben in meinem Leib und mein eigenes retten.
Jeden
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