02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
heißen, dass Gerechtigkeit im Himmel gesprochen wird, in dieser Stunde hätte ich nicht darauf gewartet.
Stattdessen war ich zu untätiger Trauer verurteilt, zu hilflosen Tränen der Ohnmacht. Eine schwangere Frau, ein Opfer der Willkür eines gewissenlosen Mannes.
Corn hatte sich neben mich gesetzt, das alte Tier spürte meine Erregung. Wenn Felix ins Haus zurück wollte, musste er an uns beiden vorbei. Und er kam.
„Hast du Jo wenigstens begraben?“, fragte ich mit bebender Stimme.
„Wie denn? In der Dunkelheit! Und ohne Werkzeug.“
„Du hast ihn einfach liegen lassen! Die Hunde ..“ Ich konnte es nicht aussprechen. Ich raffte mich auf und verstellte ihm den Weg. „Wir werden ihn holen, Felix. Das bist du ihm schuldig. Jo war mein Bruder, mein bester Freund!“
„Du gehst jetzt ins Haus! Verschwinde!“ Er schob mich zur Seite.
„Du hast Jo ermordet!“, schrie ich wie von Sinnen. „Er wusste zu viel über dich.“
Corn wollte mich unterstützen, knurrte Felix mit gesenktem Kopf an. Obwohl er den Hausherrn schon so lange kannte und seine Fußtritte fürchtete, hielt der Hund in diesem Augenblick zu mir.
Wortlos schwang Felix das Gewehr.
„Nein!“
Wäre Corn nicht so alt und gehandicapt gewesen, es wäre ihm vielleicht noch Zeit geblieben, sich zu ducken oder auszuweichen. Der Kolben traf den Kopf des Tiers mit einem dumpfen Krachen. Ein kurzes helles Aufjaulen, dann war Stille.
„Wenn du noch ein Wort sagst..“, stieß Felix hervor, riss die Haustür auf, ging hinein und schlug sie hinter sich zu.
Der Hund rang noch um ein paar Atemzüge, dann erschlafften seine feuchten Flanken. Ich hielt den Kopf meines toten Gefährten, weinte um sein Leben, um das von Jo, um all die Gemeinheit, die vor meinen Augen geschah. Und die ich hilflos, wenn auch voller Wut, mit ansehen musste. Irgendwann, als der Morgen schon graute, suchte ich Hacke und Schaufel und grub Corn ein Grab, das tief genug war, um wenigstens seinen Körper vor dieser Welt beschützen zu können.
Danach irrte ich eine ganze Weile umher, konnte aber keine Spur von Jo mehr entdecken. „Mein Bruder war ein guter
Mensch. Warum musste er so jung und so grausam sterben?“, klagte ich in der Kapelle vor dem schwarzen Jesus.
In 24 Stunden hatte ich meinen Vater, meinen Bruder und meinen kleinen Lebensretter verloren. Der Teufel muss an jenem Tag ein Freudenfest veranstaltet haben; ihm waren Siege in den Schoß gefallen, die er nicht verdiente. Denn derjenige, den der Teufel sich eigentlich hätte holen sollen, war an jenem Tag noch mächtiger geworden.
Flucht aus dem Harem
Wir waren den ganzen Tag gefahren und kamen völlig erschöpft nachts in Lagos an: ein Mörder und seine vier schwangeren Ehefrauen. Mutter, Bisi und Ada nahmen mich in Empfang und brachten mich in Bisis Räume im Erdgeschoss, die anderen schliefen alle schon. Nach der Fahrt auf der Ladefläche des Lastwagens hatte ich kaum noch die Kraft, allein zu gehen. Meine Mamas waren auf meine Ankunft gut vorbereitet. Sie hatten eine große Wanne herbeigeschleppt, in die sie jetzt warmes Wasser füllten. Duftende Öle und Kräuter umschmeichelten meine Sinne. Es tat so gut, zu fühlen, dass die drei mich liebten! Meine verletzte Seele, mein gebrochenes Herz und mein schmerzender, unförmiger Leib hatten diese Aufmerksamkeit so bitter nötig.
Anschließend legten sie mich gemeinsam auf Bisis Bett, streichelten und massierten mich, bis ich eingeschlafen war. Die Torturen der vergangenen Monate ließen mich dennoch nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder schrak ich aus meinen wirren Träumen hoch. Die Nachtwache meiner Mütter beschützte mich rund um die Uhr. Einen ganzen Tag lang schlief ich durch und erwachte erst, als es draußen bereits dunkel war. Mein Herz war so voll, dass mein Mund förmlich überlief. Stundenlang erzählte ich. Und von Geschichte zu Geschichte verdüsterten sich die Gesichter der drei Frauen, die mir alles bedeuteten.
„Was Felix mit Jo gemacht hat, das war ein eiskalt geplanter Mord!“, stieß Mutter hervor.
„Dieser Mann gehört vor ein Gericht gestellt“, pflichtete Bisi bei.
„Und was ist dann mit unserer Choga?“, fragte Mama Ada ganz ruhig. „Habt ihr euch das mal überlegt? Sie müsste als Zeugin aussagen. Und bis dahin lebt sie im Compound. Hier, wo Felix entscheidet, was Recht ist.“
„Und er behandelt sie ohnehin schon so schlecht. Wir können unserer Kleinen nicht noch mehr Qualen zumuten!“, ereiferte sich Mama Bisi sofort.
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