02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
Harem? Jetzt, wo Vater nicht mehr da ist.“
„Das ist schwer zu erklären. Lass es mich so sagen: Dort ist mein Zuhause. Bisi braucht mich. Ada auch. Und all die anderen. Wenn ich nicht zurückkomme, breche ich ihnen das Herz. Sie lieben mich und ich sie. Bisi hat schon kaum verwinden können, dass du weggehen musstest. Aber sie sieht ein, dass das nun mal der Preis ist, den man für sein Alter zu zahlen hat. Ich kann Bisi nicht verlassen. Bitte verzeih mir. Irgendwann werde ich eine Möglichkeit finden, dass wir alle mit dir und deinem Kind wieder zusammenleben können.“
„Was ist eigentlich mit der Farm?“
„Dort will niemand wohnen. Die Leute sagen, sie brächte Unglück. Felix will sie auch nicht. Ihm ist sie zu weit weg.“
„Der hat doch nur Angst davor, an den Ort seines Verbrechens zurückzukehren.“
„Ich werde versuchen, die Farm zurückzubekommen, mein Kind. Würdest du denn dort wieder wohnen wollen - nach allem?“
„Sofort!“, rief ich. „Am liebsten mit euch allen!“
Ich hatte mir immer ein Mädchen gewünscht. Der innere Frieden, den ich in mir zu spüren begann, schien noch nicht stark genug, um einen „kleinen Felix“ an meiner Brust zu nähren. Ich wollte ein sanftes Mädchen, von dem ich schon geträumt hatte, seitdem ich Sue im Arm gehalten hatte. Obwohl Amara wieder einmal ganz genau „wusste“, dass ich mich besser auf einen Jungen einstellen müsste. Sollte sie Recht behalten, wollte ich ihn nach meinem eigenen Vater nennen; ein Mädchen würde Lisa heißen.
Es kam wie immer alles anders.
„Frau Egbeme“, eröffnete mir Amaras Frau Doktor, die meine Geschichte kannte und der wir vertrauten, „wir haben einige Untersuchungen gemacht.“ Die aus Indien stammende Ärztin sah mich ernsthaft an. „Amara hat mich darüber unterrichtet, dass es in Ihrer Verwandtschaft eine große Anzahl von Kranken gibt. Deshalb hätten wir auch gern das Blut des Kindsvaters untersucht. Leider ist das jedoch nicht möglich“, setzte sie zu einer Erklärung an. Ich konnte ihr kaum zuhören, panisch vor Angst betete ich nur stumm: Auf gar keinen Fall, denn dann hätte Felix meinen Aufenthaltsort erfahren.
Ich hatte keine Ahnung, wohin dieses Gespräch führen sollte, und war auch viel zu verängstigt, um nachzufragen.
Endlich sagte die Ärztin: „Haben Sie schon einmal von Aids gehört?“
In Europa - das weiß ich heute - wusste im August 1995 schon beinahe jeder Jugendliche über diese Krankheit Bescheid. Aber in meinem Land spricht bis zum heutigen Tag niemand offen über Sexualität. Gewiss, im „Hühnerhaus“
hatte Mama Uloma mir erklärt, wie ich einem Mann zu gewissen Freuden verhelfen konnte. Doch von Aids hatte die Lehrerin nie gesprochen.
Wie Millionen anderer Frauen meines Landes schüttelte ich als Antwort den Kopf.
Die Frau Doktor erklärte es mir; auch, dass ich selbst HIV-positiv sei. Ich konnte ihren Worten kaum folgen. Nur eines beschäftigte mich. „Was ist mit meinem Kind?“, fragte ich. An die Konsequenzen für mich selbst dachte ich nicht.
Sie antwortete, dass die ohnehin per Kaiserschnitt geplante Geburt für das Baby auf jeden Fall gefahrloser sei: „Es kann sich nicht so leicht anstecken wie bei einer normalen Geburt“, erklärte sie mir. Dann riet sie mir davon ab, das Baby zu stillen, die Viren in meinem Körper könnten sich sonst auf mein Kind übertragen. „Ich weiß, dass Sie sehr gläubig sind“, fuhr sie dann fort. „Das Beste wird sein, Sie bitten Gott, dass er Ihnen
und Ihrem Kind hilft. Mehr kann ich im Moment nicht sagen. Ich muss erst die Geburt abwarten.“
Im ersten Moment war ich so schockiert, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Erst allmählich drang die Schreckensbotschaft der Ärztin zu mir durch. Meine kleine Welt aus Angst und Schmerzen, die ich mit Hoffen und Beten am Einstürzen zu hindern versucht hatte, brach in den folgenden Stunden Stück für Stück zusammen. Zunächst kam mir die Erkenntnis, dass ich für mein eigenes Kind eine Gefahr darstellte. Denn die Worte der Ärztin bedeuteten, dass mein Kind nicht zwangsläufig krank zur Welt kommen musste, sondern dass ich diese Krankheit erst auf das Neugeborene übertragen konnte - durch mein Blut und meine Muttermilch.
Im Harem war es selten vorgekommen, dass eine queen ihr Kind einer Amme geben musste, die selbst gerade stillte. Eine „gute“ Mutter tat das nicht. Doch wenn ich in diesem Leben etwas sein wollte, dann eine gute Mutter! Eben weil das Kind
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