02_In einem anderen Buch
drückte mir die Hand und war weg. Ein Ruck ging durch
die Welt, und die Zeit kam wieder in Gang. Das Fernsehen lief
weiter und aus der Küche hörte ich ein leises Plock-plock. Pickwick hatte sich wieder mal versehentlich in der Speisekammer
eingesperrt, wie es schien. Ich ließ sie heraus und sie schüttelte
sich verlegen die Federn zurecht, ehe sie ihren Wassernapf
aufsuchte, um etwas zu trinken.
Ich ging ins Büro, aber es gab nicht viel zu tun. Ein Schüler
eines Englisch-Leistungskurses rief an und wollte wissen, was es
bedeutet, wenn Hamlet O schmölze doch dies allzu feste Fleisch
sagt und ob es nicht feist heißen müsse oder Schmalz oder so
etwas. Bowden verbrachte den Vormittag damit, die Witze für
seine Comedy-Show auswendig zu lernen. Außerdem gab es
zwei dilettantische Versuche, das Cardenio-Manuskript aus der
Bibliothek von Vole Towers zu stehlen, aber damit wurde SO14 leicht allein fertig.
Ich hatte also Zeit genug, in meinem Jurisfiktion-Buch zu
blättern. Es war so ähnlich, als ob man in der Schule heimlich
eine Illustrierte unter der Bank liest. Die »praktischen Tipps für
Buchspringer« (S. 28 ff.) hätten mich beinahe veranlasst, mir
einen schönen Roman zu suchen und darin herumzuspazieren,
aber Miss Havisham hatte mir solche Versuche verboten, solange ich nicht mehr Erfahrung besaß. Immerhin lernte ich etwas
über die Vorschriften zur Evakuierung von Büchern in Notfällen (S. 34). Das großzügige AustauschProgramm für Romanfiguren (S. 81 ) beeindruckte mich ebenso wie die Methoden,
abtrünnige Büchermenschen, sogenannte SeitenLäufer, mit
Hilfe von holorimischen Versen zu fassen (S. 96) und Satzfehler
als Warnsignale für andere Jurisfiktion-Agenten zu nutzen (S.
105). Das war schon rein fachlich hochinteressant.
Aber es gab nicht nur Tipps und Anweisungen. Im hinteren
Teil des Buches gab es ausgehöhlte Verstecke, die technisch
eigentlich gar nicht zwischen die Deckel gepasst hätten. In
einem davon lag eine Art Leuchtpistole mit der Aufschrift »Mk
IV TextMarker«. Ein anderes war wie ein Feuermelder mit einer
Glasscheibe abgedeckt. Die Aufschrift lautete »Im äußersten
Notfall* Scheibe einschlagen«. Die mit dem * bezeichnete
Fußnote lautete: »Bitte beachten: Die Vernichtung der eigenen
Person gilt nicht als äußerster Notfall.«
Dann war Feierabend, und ich verließ das Gebäude, nicht
ohne Bowden viel Glück bei seinem Auftritt als Entertainer zu
wünschen. Er schien nicht das mindeste Lampenfieber zu
haben, aber er war ohnehin selten nervös.
Als ich nach Hause kam, stand der Vermieter vor meiner Tür.
Nachdem er sich überzeugt hatte, dass Miss Havisham nicht bei
mir war, sagte er: »Hallo, Next! Was ist mit der Miete?«
»Sie hatten doch Samstag gesagt«, erwiderte ich und schloss
die Tür auf.
»Ich habe Freitag gesagt.«
»Wie wär's, wenn ich Ihnen das Geld am Montag früh gebe,
sobald die Banken aufmachen?«
»Wie wär's, wenn Sie mir Ihren Dodo geben und drei Monate keine Miete mehr zahlen müssen?«
»Sie können mir mal im Mondschein begegnen!«
»Es lohnt sich nicht, seinem Vermieter frech zu kommen,
Next. Haben Sie das Geld oder nicht?«
Ich dachte fieberhaft nach. »Nein«, musste ich schließlich
zugeben. »Aber der Freitag ist ja noch nicht zu Ende. Ich habe
immer noch sechs Stunden Zeit, um das Geld aufzutreiben.«
Er sah mich an, dann Pickwick, die ihren Kopf aus der Tür
streckte, um zu sehen, wer da war. Dann warf er einen Blick auf
die Uhr. »Na schön«, sagte er schließlich. »Aber spätestens um
Mitternacht will ich mein Geld haben, sonst sind Sie dran!«
Ich zeigte Pickwick ein Marshmallow, um sie dazu zu kriegen,
dass sie auf einem Bein stand, aber sie starrte mich bloß mit
leerem Blick an, so dass ich es schließlich aufgab. Ich fütterte
sie, wechselte das Papier in ihrem Körbchen, rief SO-27 an und
fragte nach Spike. Es war nicht der beste Plan, aber er hatte den
großen Vorteil, dass er der einzige Plan war, und schon deshalb
hielt ich es für geboten, ihn auszuprobieren.
Es dauerte eine Weile, aber schließlich wurde ich tatsächlich
zu Spike durchgestellt. Er war wie immer auf der Jagd in seinem
Streifenwagen. Ich erzählte ihm von meiner Geldknappheit,
und er sagte mir, sein Etat für freie Mitarbeiter sei bestens
gefüllt, weil kein vernünftiger Mensch mehr Lust hätte, mit ihm
auf Streife zu gehen. Wir verabredeten einen gigantischen
Stundenlohn und einen Treffpunkt
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