02_In einem anderen Buch
darf,
Thursday: Sagen Sie, der Neandertaler hätte Sie an einen gesuchten Verbrecher erinnert! Behaupten Sie, er hätte Kindheitserinnerungen in Ihnen geweckt – irgendwas. Aber wenn Sie
irgendwelche nicht-autorisierten ChronoGard-Spielchen erwähnen, dann wird Flanker Ihre Dienstmarke künftig als Briefbeschwerer benutzen. Ich werde SO-1 einen positiven Bericht
über Ihre bisherige Arbeit und Ihre Dienstauffassung schicken.
Wenn Sie Glück haben und konsequent lügen, kommen Sie
vielleicht mit einer Verwarnung davon. Um Himmels willen,
Thursday, haben Sie denn aus der Geschichte mit dem Zeitloch
auf der M 1 überhaupt nichts gelernt?«
Victor stand auf und rieb sich das Bein. Sein Körper ließ ihn
im Stich. Die neue Hüfte, die man ihm vor vier Jahren eingesetzt hatte, musste schon wieder ersetzt werden. Aber er ließ es
sich nicht nehmen, mir die Tür aufzuhalten. In diesem Augenblick kam Bowden aufgeregt den Gang herunter. Er rannte
förmlich und schwenkte ein großes Blatt Papier in der Hand.
Solche Gemütsbewegung war ungewöhnlich bei ihm.
»Der Versmaßanalysator!« rief er schon von weitem. »Ganz
ungewöhnlich! Er sagt, der Cardenio stammt mit 94% Wahrscheinlichkeit tatsächlich von William Shakespeare. Bisher hat
noch keine Fälschung höhere Werte als sechsundsiebzig erreicht! Der VMA hat sogar Spuren einer Zusammenarbeit mit
einem anderen Autor ausmachen können.«
»Hat er gesagt, wer es sein könnte?«
»Mit 73 % Wahrscheinlichkeit Fletcher. Das passt zu den historischen Gegebenheiten. Shakespeare fälschen ist eines, ein
Gemeinschaftswerk fälschen ist etwas ganz anderes.«
Es herrschte einen Augenblick Stille. Victor rieb seine Stirn
und dachte ausführlich nach. »Also gut. Obwohl es höchst
befremdlich und nahezu unmöglich scheint, müssen wir uns
allmählich mit dem Gedanken vertraut machen, dass dieser
Cardenio echt ist. Das könnte das größte literarische Ereignis
aller Zeiten sein. Aber vorläufig halten wir es lieber noch unter
der Decke. Professor Spoon soll sich das erst einmal ansehen.
Wir müssen hundertprozentig sicher sein. Ich habe keine Lust,
noch einmal so ein Fiasko wie bei dem Tempest-Manuskript zu
erleben.«
»Da es noch nie veröffentlicht worden ist«, sagte Bowden,
»gehört Volescamper für die nächsten sechsundsiebzig Jahre
das Copyright.«
»Jedes Theater auf der Welt wird das neue Shakespeare-Stück
aufführen wollen«, sagte ich. »Und denken Sie nur an die Film-rechte.«
»Genau«, sagte Victor. »Er sitzt nicht bloß auf der größten
literarischen Entdeckung seit drei Jahrzehnten, sondern auch
auf einem Topf voll hochkarätigem Gold. Die Frage ist nur, wie
konnte das Manuskript so lange unentdeckt in dieser Bibliothek
dahindämmern? Seit 1709 haben dort schließlich Gelehrte
gearbeitet. Wieso haben die so einen Schatz übersehen? Hat
jemand eine Idee?«
»Retro-Diebstahl?« sagte ich. »Was ist, wenn ein krimineller
ChronoGardist in das Jahr 1613 gegangen ist und ein Exemplar
der Handschrift geklaut hat, um sich eine Altersrente zu sichern?«
»SO-12 nimmt Retro-Diebstahl sehr ernst«, sagte Victor,
»und man hat mir mehrfach versichert, dass so etwas immer
entdeckt wird, früher oder später oder auch beides, und sehr
streng bestraft wird. Aber möglich ist es natürlich. Bowden,
rufen Sie SO-12 doch mal an.«
Bowden streckte die Hand nach dem Telefon aus, um nach
dem Hörer zu greifen, aber in diesem Augenblick begann es von
sich aus zu klingeln.
»Hallo? Ja. Was sagen Sie? … Gut, vielen Dank.«
Er legte den Hörer zurück auf die Gabel.
»Die ChronoGarde sagt, es hätte keine Fälle von RetroDiebstahl gegeben.«
»Was glauben Sie, was das Manuskript wert ist?« fragte ich.
»Hundert Millionen«, sagte Victor, »zweihundert, wer weiß?
Ich werde Volescamper anrufen und ihm sagen, er soll vorerst
nicht darüber reden. Es gibt Leute, die würden einen Mord
begehen, bloß um es einmal zu lesen. Niemand darf davon
erfahren, ist das klar?«
Wir nickten.
»Gut. Thursday, das Network nimmt Dienstvergehen sehr
ernst. SO-1 wird morgen gegen vier Uhr nachmittags mit Ihnen
reden wollen wegen der Geschichte im Skyrail. Man hat mich
aufgefordert, Sie zu suspendieren, aber ich habe denen gesagt,
sie können mich mal. Aber nehmen Sie bitte Urlaub bis morgen. Sie beide haben gute Arbeit geleistet, aber vergessen Sie
nicht: Kein Mensch darf von dieser Sache erfahren!« .
Wir bedankten uns und gingen in unser
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